eingestellt am 20.07.2021 von Philine Schlick, Headerbild: In blühenden Wiesen tummeln sich Schmetterlinge und andere Insekten. Foto: Birgit Kretzschmar
Der Juni ist die Zeit der Mahd, auch in der Johannstadt. Halme, Blüten und Rispen fallen, werden zu Heu. Aber was bedeutet das für die Insekten und ihr Buffet? Sorgenvoll wandte sich Birgit Kretzschmar an die Stadtteilredaktion. Das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft erklärte seine Vorgehensweise.
“Immer wieder wächst das Gras – hoch und wild und grün. Bis die Sensen ohne Hast ihre Kreise zieh’n”, singt Gerhard Gundermann. Auch an den Elbwiesen und auf Grünflächen in der Johannstadt wird gemäht. Nicht mehr mit Sensen, sondern motorisiert. Das Gras wird geerntet.
Wiesen und Grünflächen seien nicht nur der Lebensraum des Menschen. Nun sei alles radikal abgemäht, nicht einmal ein kleines Fleckchen sei stehen gelassen worden. Die Wiese am Stephanienplatz sei ein richtiges Schmetterlingsparadies gewesen – bis vergangene Woche Mittwoch. “Wo sollen Insekten jetzt Nahrung finden?”
Mähen für die Artenvielfalt
Das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft begründet seine Vorgehensweise mit Artenvielfalt. Denn, wo nicht gemäht werde, können sich spätblühende Pflanzen nicht durchsetzen: “Der Mahdzeitpunkt im Juni ist seit vielen Jahren eine geregelte Größe, die einen Kompromiss aus verschiedenen Belangen darstellt. Am artenreichsten bleiben Wiesen durch eine ein- bis dreimalige Mahd pro Jahr. Werden sie seltener gemäht, geht Vielfalt ebenso verloren wie durch Düngung und höhere Schnitthäufigkeit.”
Viele Pflanzen würden zwar durch die Mahd jetzt zurückgeworfen, schafften aber bis zum Vegetationsende noch die Ausbildung von Samen, führt das Amt aus.
Viele Insekten mögen mageren Rasen
Mähen ist also Pflege – aber was ist nun mit den Tieren? “Bei der Mahd gibt es keinen Totalverlust. Die Fauna findet, wenn auch eingeschränkt, Rückzugsmöglichkeiten und Nahrungsquellen”, begründet das Amt. Gemäht werde, wie an den Elbwiesen zu beobachten war, zeitversetzt. Das bietet eine Schonung. Begünstigend kommen hier sicher die zahlreichen Balkone und Gärtchen zum Tragen, die in der Stadt Rückzugmöglichkeiten bieten und so die Artenvielfalt stützen.
Dasselbe gelte auch für den Stephanienplatz. Allerdings wird dieser momentan noch dreimal jährlich gemäht und beräumt. Ursache hierfür sei, dass der Boden noch zu fett und voller Nährstoffe ist. Magerer Rasen ist die Lebensgrundlage vieler Insekten: “Das Beräumen des Schnittgutes sorgt in diesem Fall für eine Reduzierung des Nährstoffangebotes und damit zur Förderung von Blütenpflanzen.”
Wilde Wiesen als Zuflucht
Es waren einmal Sommerwiesen – und werden wieder welche sein. Nachträglich berichtete Birgit Kretzschmar, dass sie einen naturbelassenen Wiesenstreifen einige hundert Meter entfernt vom Stephanienplatz entdeckt habe. Das mag ein kleiner Trost für den zeitweiligen Kahlschlag sein.
Es bleibt natürlich eine Überlegung wert, zukünftig nicht alles zu mähen, sondern “wilde Abschnitte” zu lassen, wo sich das Leben ungestört tummeln kann.
Führung über die Elbwiesen
Am Donnerstag um 16.30 Uhr bietet das Umweltamt eine Exkursion am Elbufer Johannstadt an. Fachleute aus dem Bereich Landschaftsschutz führen etwa eineinhalb Stunden über Streuobst- und Glatthaferwiese unweit des Fährgartens.
„Im Rahmen unserer Kampagne ‘Unsere Elbwiesen – Schütze, was du liebst’ bieten wir den Dresdnerinnen und Dresdnern vor Ort einen Perspektivwechsel. Interessierte bekommen bei der kurzweiligen Entdeckertour einen Einblick in den praktischen Landschaftsschutz und erfahren, wie wir als Verwaltung die Balance zwischen den Interessen der Menschen und dem Schutz des Naturraums immer wieder neu austarieren”, führt Umweltamtsleiter Wolfang Socher aus.
eingestellt am 14.06.2020 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Wogen der Mäusegerste vorm Gewitter Foto: Anja Hilgert
Es mag am Gewitter gelegen haben, das mir auf den Fersen war, als ich an der Elbe entlang, durch kniehohe, unendlich scheinende Wiesen unterwegs war. Vielleicht haben der nahende Himmel und das Dunklerwerden der Wolken verholfen, ganz da zu sein, wach für den voll geladenen Moment.
Da war nichts als Gras. Endlos wogendes Gras. Zu einem grünen Meer zusammengewachsene Wiesen. Dicht an dicht tanzten die Halme wellenförmig in die Richtung, in die der Wind sie bog. Oft scheint nichts als Vorstellung vorzuliegen, wenn wir von dem reden, was uns vertraut und gewöhnlich erscheint: Gras. Gras ist überall, ist einfach da. Rasen, Wiese, ist klar. Grünfläche. Schön. Sommerlich. Und dann passiert es, dass der Blick eintaucht und an Ungewöhnliches stößt. Ein Riss geht durchs Herkömmliche. Mit einem Mal wird sichtbar, was eigentlich da ist. Vielfalt offenbart sich. Gras ist von solcher Vielfalt, dass es in Staunen versetzt: Eine Hommage ans grünende Gras und Wiedergutmachung, wenn es wieder einmal ohne Wahrnehmung mit plumpen Füßen betreten wird.
Grünes Fell der Erde
Man spricht vom grünen Kleid der Erde und meint wahlweise den Wald oder Gras, mit dem flächendeckend die Erde geschützt ist – vor Hitze und Trockenheit, vor Erosion des Bodens durch Wasser und Wind. Gras ist wie ein Fell, das keinen Flecken Erde nackt lassen kann. Wachsender, lebendiger Teil ihres Körpers. Wir verdanken dem Grün der Pflanzen, dass wir atmen können und überhaupt am Leben sind auf der Erde. Im Grünen sind wir miteingebunden in die größeren Prozesse der Natur.
Kniehoch und weiter nach oben ans Licht
Kniehoch und weiter nach oben drängt das Gras ins Licht, webt einen dichten wuchernden Flor. Grünendes Grün möchte man aktivierend sagen. Etwas von Üppigkeit, Wachstum und Lebenskraft ist darin, das sich auf den eigenen Organismus überträgt, wenn man es nur lang genug in sich einlässt. In der Natur atmet der Mensch tiefer, wird ausgeglichener.
Wie die Sonne jetzt dem höchsten Punkt ihres Bogengangs zustrebt, so sättigt sich auch der Farbton der Jahreszeit zum prallsten Grün, das wir haben können. Grün als Farbe purer Lebendigkeit, Mischung aus Wasser und Licht. Grundnahrung sozusagen. Und grasgrün, so denkt man, ist die Speerspitze von unfassbar grün.
Baden im grünen Meer
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, noch einmal baden zu gehen, im grünen Meer, das wir gleich vor der Haustüre haben. Baden gehen im Grün mit weit geöffneter Haut und allen Sinnen. Sich hineinlegen und sich treiben lassen, gleiten unterm blauen Himmel.
Der kühle Mai hat den Pflanzen noch einmal Kraft zum Wachsen gegeben. Zugleich ist ein Teil des Grases schon über den Bogen hinaus, wirft seine Samen ab, wird braun und dörr, begibt sich in den Übergang, um Heu zu werden. Der Mähdrescher kündigt sich an für die Junimahd, erste Heuernte des Jahres. Schließlich, das vergisst man als Städter*in gerne mal, ist Gras wertvolles Kapital für die Landwirtschaft und ernährt viele Tiere, von denen man sagen muss, dass wir mehr von ihnen als mit ihnen leben, z.B. Kühe.
Bevor also der Mähdrescher kommt, lassen wir noch einmal den Blick fallen aufs Gras. Es gibt gar nicht DAS Gras: Gras ist nicht gleich Gras. Es ist sich kaum ähnlich. So verschieden sind die Stängel und das, was daraus sprießt. Mehrere tausend Arten von Gras gibt es, so lässt sich lernen. Sogar die* spazieren laufende Städter*in sichtet eine Varietät von Gräsern auf nur wenigen Quadratmetern Wiese.
Rispen und Blütenspitzchen
Manche Grasspitze kitzelt bis an den Bauchnabel heran oder sticht auch mal ein Kind in die Nase. Die winzigen, fast unsichtbaren Blüten sitzen an den zahlreichen verzweigten Spitze des Grassprosses. Sein Blütenstand ist untergliedert in Rispen und Ähren, die in einer Vielzahl von winzigen Blütchen enden. Im Verzicht auf Blütenpracht überlässt die Graspflanze ihr Erbgut bloß dem Wind, der die Samen in alle Himmelsrichtungen verstreut. Dass die Pflanze keine aufwändige Blüte produziert, steigert ihren Nährgehalt. Entsprechend zählen Gräser zu den ältesten Nutzpflanzen der Menschheit. Die Früchte des Grases sind stärkehaltig und als Getreidekörner fortentwickelt ein Hauptnahrungsmittel der Menschheit.
Grasartvielfalt pro Quadratmeter Wiese
Die Trespe ist die tänzerischste hiesiger Gräser, hat ihre fingerspitzenlangen Ähren an einzelnen dünnen Stielchen aufgehangen, die sich wechselseitig vom Hauptstiel abteilen und die Frucht in alle Richtungen gaukeln und baumeln lassen. Von jedem Windstoß stiebt der Strauß auseinander. Von Trespen und Rispengräsern gibt es mehrere Unterarten in unseren Wiesen.
Als Rispe bezeichnet man einen in mehrere, unregelmäßige Achsen verzweigten Blütenstand mit vielen einzelnen Blütenabschlüssen, die beim Gras fast unsichtbar winzig sind. Zur jetzigen Zeit wehen über den Wiesen mitunter dichte grüngelbliche Wolken von Grasblütenstaub, die Heuschnupfen-Allergiker von allem, was Wiese ist, fernhalten.
Das Gewöhnliche Rispengras erkennt man leicht an den gekräuselt heraus stehenden, dunkleren Wollhärchen. Der Halm ist am unteren Ende rötlich gefärbt und verleiht damit dem Gras eine warme Ankerung zum Boden hin.
Viele der Gräser tragen einen rot- bzw. blauvioletten Farbton wie um sich herum.
Locker und wenig verzweigt besteht beim Rotschwingel die Rispe aus wechselnd zu den Seiten abstehenden Ährchen, die dicht und zugleich fein, als Schwingel beinahe kräftig genug scheinen, einen Ton zu erzeugen, wäre die Luft nur widerständig genug.
Ähnlich in Aufbau und Färbung, die Ähren nur kleiner und in kürzeren Stielchen dichter am Stängel gehalten, fällt auch der Glatthafer mit einem leicht rötlich-violetten Farbspiel auf.
Bis ins Detail vereinzelt, kleinteiliger und im Windwehen fast aufgelöst in seiner Form erscheint das Wiesenrispengras als filigranstes unter den Süßgräsern. Zum zärtlichen, hauchenden Streicheln sind diese Halme wie wunderbar beschaffen.
Wem dies eine zu kitzelige Angelegenheit wird, greife zum wolligen Honiggras, das mit breiter angelegtem Wedel über mehr Volumen verfügt und insgesamt weicher und sanfter ist. Es ist gut zu erkennen an einem unmittelbar bis an die Rispe heran hüllenden, stützenden Blatt.
Knäuelgras heißt lautmalerisch so, weil es seine Ähren alle im oberen Teil seines Stängels zu knubbeligen Knäueln zusammengeschoben hat, die man auch als Horste bezeichnet, weil hier die Samen kompakt und miteinander geborgen wie in Nestern gruppieren. In voller Blüte lösen sich die Samen aus diesen Puscheln und tümmeln sich wild durcheinander auf den Knäueln, bis der Wind sie davonträgt.
Lieschgras komprimiert noch weiter und hält wie eine allerdichteste Spindel die unzähligen Ährchen alle blickdicht rings um den Stängel angeordnet, dass es borstig wirkt wie eine kleine Flaschenbürste. Gegen den Strich gezogen, sammeln sich die Samen mit einem Zug in der Hand und geben das beste Juckpuver, das manche sich nicht unterstehen können, dem Freund oder der Freundin in den Nacken und unters T-shirt zu streuen.
Die weichere Variante dieser Art Ährenrispe stellt der Fuchsschwanz dar, bei dem die abstehenden Ährchen msich etwas neigen und anschmiegen. Die ausgestoßenen Samen liegen wie brauner Pelzbesatz auf. Das Ganze ähnelt der Rute des namengebenden Fuchses in Miniaturform und macht dieses Gras leicht wiedererkennbar.
Wo dunkle verdichtete Büschel sich kompakt im restlichen Grasteppich abbilden, handelt es sich meist um robustes Deutsches Weidelgras. Entlang des langgestreckten, dünnen, lanzenartigen Stängels liegen rhythmisch wechselnd links und rechts die treppenartig aufgereihten Ähren. Auch als Englisches Raygras bezeichnet, erhält die noble Schlichtheit in Anlehnung zum Roggen (engl. ray) einen besonderen Namen. Auch ist die gewellte Linie des Halms bemerkenswert, die die Natur beschert, wenn man alle Ährchen vom Stängel abgepuhlt hat.
Eine kleinere, wie vereinfachte Form dieser spindelförmigen Grasart ist die allgemein bekannte und von Rasenliebhabern ungeliebte Quecke. Sie schiebt geradlinig schlicht ihre Triebe wie kleine flache Schwerter nach oben, die widerständig und robust so schnell nichts brechen kann.
Am Wegesrand weit verbreitet ist die sogenannte Mäusegerste, gut zu erkennen an der dem Getreide am meisten ähnelnden Ähre. Wie bei der Gerste stehen hier spitze, stechende Grannen ab. Die ganze Pflanze ist aber wesentlich kleiner und wächst auf kurzem, gedrungenem Stängel recht bodennah, was ihr womöglich ihren Namen verleiht: Ihre Samen, dienen, wenn sie zu Boden fallen, gleich als Futter für die eiligen Mäuse, die Vorräte sammelnd des Weges kommen.
Die Mannigfaltigkeit von Gras und Graslandschaften ist nur angedeutet und noch weit dehnbar. Nebenbei und zum Ende sei noch erwähnt, wie später im Juni das Heu dann gemacht wird. Die Elbwiesen sind dann nach Abzug der Traktoren und Heuwender für kurze Zeit johannstädtisches Spielfeld für Heuschlachten und zum Ausbreiten klassischer Picknickdecken. Der Duft nach frisch gemähtem Heu ist verlockend gemütlich und unverkennbar warm und würzig, um sommerliches Draussensein bis in die Nacht hinein zu verlängern.
Dank für Rechercheergebnisse geht an reiche Informationsquellen aus der Vielzahl an privaten Naturblogs, die im Netz einsehbar sind.