Sturmtief „Nadia“ hat es vorgemacht: Alles, was nicht hieb-, reiß- und rüttelfest war, das hat sich der unbändige Wind gegriffen und damit sein Unwesen getrieben. Das Monatsende im Januar war nicht nur wolkenverhangen und lichtarm, sondern sogar stürmisch. Bei der Polizeidirektion sind wegen „Nadia“ 62 Notrufe im Stadtgebiet eingegangen aufgrund umgestürzter Bäume, beschädigter Dächer, weggewehter Baustellenabsperrungen und herumfliegender Gegenstände. Windböen sind nicht zu unterschätzen.
In der Johannstadt irritieren nicht dagewesene Lücken: Auf der Streuobstwiese an der Elbe hat sich ein alter Baum nieder gelegt, in der Umgebung der Sachsenallee fehlen ein paar jüngere Baumexemplare, auf dem Gelände hinter Konsum und Aldi vermisst man die Birke, die dort immer stand, und so wundert man sich. In der Welt der Gehölze ist es klaffend hell und durchlässig geworden. Die Gründe dafür sind auch mit dem Sturmwind verwoben.
Winterliches Kettensägen
Wenn die Natur einmal aufbraust, sind die Folgen gleich zu spüren. Um einem größeren Desaster vorzubeugen, ist es nötig, vorausschauend tätig zu werden.
Im Januar waren deshalb vermehrt Firmen im Stadtgebiet beauftragt, um Bäume zu stutzen. In der Johannstadt waren vor dem anrollenden Sturmtief von verschiedenen Grünflächen verstärkt sirrend kreischende Motorsägen zu hören, und Männer in Hydraulikkränen machten sich an Baumkronen und Baumstämmen zu schaffen, die bald krachend zu Boden fielen.
Nur im Zeitraum vom 1. Oktober bis 28. Februar sind Baumfällungen überhaupt erlaubt. Sie müssen entsprechend dem Bundesnaturschutzgesetz und der Gehölzschutzsatzung der Landeshauptstadt Dresden genehmigt sein. Der ausschlaggebende Grund, warum ein Baum weichen muss, ist die Feststellung akuter Gefährdung der Verkehrssicherheit. Am Häufigsten sind Pilzbefall, Morschung oder der Befund, dass es sich um einen absterbenden bzw. abgestorbenen Baum handelt, der Auslöser fürs Kettensägen.
Das zuständige Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft definiert drei Diagnosen: Ein Baum ist abgängig, wenn er in großem Maß den Verlust seiner Lebensfähigkeit (Vitalität) aufweist. Der Baum gilt als absterbend, wenn seine Krone zahlreiche tote Teile vorzeigt. Hat der Baum keine lebenden Triebe oder Blätter mehr, gilt er als abgestorben. Möglichst sollte kein alter Baum und auch nicht der kranke Arm eines Baumes Menschen treffen, die in Wind und Wetter unterwegs sind.
Stadtbäume haben’s nicht leicht
Stadtbäume stehen meist in für sie ungünstigen Verhältnissen, an Straßen oder auf versiegelten Flächen und haben von daher oft kein einfaches, sondern oft ein gefährdetes Leben. Der Straßenrand bietet dem mächtigen Wurzelwerk kaum Platz und Luft. Der Boden ist so sehr verdichtet, dass das Wachstum der Bäume gehemmt wird. Die extremen Bedingungen des Stadtklimas wie Tausalze, Hundekot, Baumaßnahmen, Anfahrschäden durch Verkehrsunfälle beeinflussen die Gesundheit der Bäume. Daraus resultierende Holzfäule, Krankheits- und Schädlingsbefall mindern die Standsicherheit und Entwicklung der Bäume.
„Risse in der Rinde, Pilze als Symptome und Äste ab 3 cm Durchmesser sind verkehrssicherheitsrelevant und werden gegebenenfalls, wenn Schaden zu befürchten ist, von Baumpfleger*innen fachgerecht behandelt“, erklärt Dipl.-Ing. Andreas Köhler, selbständiger Fachagrarwirt für Baumpflege, seit 15 Jahren selbständig, der auf thematischen Johannstädter Spaziergängen schon mehrfach seine Expertise nähergebracht hat.
Dass Stadtbäume ihren Bedingungen, d.h. den Widrigkeiten des Standorts meist einzeln ausgesetzt seien, mache sie anfälliger, sagt Köhler: „In der Stadt haben wir viele Bäume, die auf sich allein gestellt sind. Die Mechanismen der Kommunikation und Interaktion der Bäume untereinander, wie z.B. Peter Wohlleben sie beschreibt für Baumgesellschaften, die im Wald anzutreffen sind, entfallen oder können in der Stadt möglicherweise nicht auftauchen, weil die Bäume zu weit voneinander entfernt stehen, auch die Flächen versiegelt sind.“
Dies begründet notwendigerweise eine stärkere Bedürftigkeit der Stadtbäume nach anderer – d.h. menschlicher Fürsorge und Pflege: Wie viele regelmäßig wiederkehrende Arbeitsstunden wohl alljährlich aufgebracht werden, um die Bäume einer Stadt gesund zu erhalten?
Als Baumpfleger unterwegs in Johannstadt
Als selbständiger Baumpfleger gibt Andreas Köhler Einblick, wie Menschen seines Berufsstands in der Stadt unterwegs sind: Danach orientieren sich Baumpfleger zwar auch an großen Plätzen, Kreuzungen und Straßennamen, aber vor allem sehen sie Anhaltspunkte in den großen Bäumen und den Arten, die markant hervorstehen: „In der Johannstadt sind z.B. die Roteichen auf dem Bönischplatz auffällig, auch die einseitige Kastanienallee auf der Marschnerstraße, die unter Naturschutz steht oder die Urweltmammutbäume auf der Hans-Grundig-Straße bzw. Elisenstraße“, sagt der Baumkundige.
Die meisten Bäume überdauern das Leben eines Menschen, sie begleiten Generationen und sind häufig sogar Zeitzeugen über Jahrhunderte. Schnell wachsende Bäume wie Birken oder Weiden werden vielleicht 100 Jahre alt, doch z.B. eine gesunde Stieleiche, wie die am Plattenwerksgelände kann 800 Jahre und mehr alt werden.
Den Linden am Käthe-Kollwitz-Ufer, die im städtischen Themenstadtplan Bäume als zwischen 17 und 101 Jahren alt verzeichnet sind, sagt man sogar ein mögliches Alter von 1.000 Jahren für ihren oberirdischen Teil nach. Der Ginkgo, der schon vor 200 Millionen Jahren die Erde besiedelte, gilt als älteste Baumart. Der schlanke Ginkgo am Johannstädter Fetscherplatz ist laut Karte des Themenstadtplans gerade erst zehn Jahre jung.
Das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft hält alle an den Bäumen ausgeführten Tätigkeiten für Bürger_innen transparent: Einen Überblick über Fällungen im Zeitraum von November 2021 bis Februar 2022 bietet eine im Internet veröffentlichte Liste. Die Liste basiert auf den regelmäßig durchgeführten und dokumentierten Baumkontrollen und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Stadtbäume brauchen uns
Die Bäume brauchen uns normalerweise nicht: „Immer wenn private Kund*innen gefragt haben, welchen Schnitt ihr Baum denn brauche, hat mein Lehrmeister gesagt: Der Baum braucht keinen Schnitt, der Baum braucht uns nicht. Die Notwendigkeit eines Schnittes entsteht durch den Gedanken entweder an Ertrag, an Sicherheit, an Schönheit, an Grenzen – das sind alles menschliche Dinge. Ein natürlich wachsender Baum braucht den Einfluss des Menschen nicht“, berichtet Andreas Köhler. Da wir in der Stadt aber widrige Bedingungen geschaffen haben, die natürliches Wachstum erschweren, wenn nicht gar hindern, müssen wir regulierend eingreifen und für das gepflanzte Leben sorgen.
Baumvielfalt durch Baumspenden
Pflege und Schutz aller Stadtbäume zählen zu den Pflichtaufgaben einer Stadtbewohnerschaft. Es ist eine verantwortliche Aufgabe, den aus vorigen Generationen übernommenen Baumbestand zu erhalten, zu pflegen und zu mehren.
Dresden zählt derzeit einen Bestand von etwa 104.000 Bäumen – davon rund 54.550 Straßenbäume. Mehr als 140 Baumarten prägen das Stadtbild.
Werden Bäume gefällt, trägt das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft die Verantwortung für Neupflanzungen. Neben typischen, am stärksten vertretenen Straßenbaumarten wie Linde, Ahorn und Kastanie wachsen zunehmend auch Exoten wie Ginkgo, Lederhülsenbaum und Japanischer Schnurbaum auf den öffentlichen Grünflächen im Stadtgebiet. Sie erweisen sich als resistenter im Umgang mit neuesten Umweltfaktoren wie Feinstaub und Überhitzung. Z.B. der Glockenbaum wächst unerbittlich sogar auf Schotterplätzen oder aus Asphaltritzen.
Bürger*innen können in Dresden wahlweise selbst die Lücke füllen, die durch einen gefällten Baum entstanden ist: Mit einer Spende in den FONDS STADTGRÜN kann man als Privatperson, Geschäftsinhaber_in, Verein oder Gruppe für die Neupflanzung von Straßenbäumen und Bäumen in Park- und Grünanlagen sorgen.
Weitere Informationen
- Alles über die Stadtbäume der Stadt Dresden
- Kontakt: stadtgruen-und-abfallwirtschaft@dresden.de,
Telefon: 0351-4887114 oder 0351-4887101