In vielen Fahrradkellern der 10-Geschosser im Wohnhof Hopfgartenstraße / Pfotenhauerstraße / Elisenstraße lagern desolate Fahrräder, die bei Wohnungsauszügen zurückgelassen wurden. Was für die Altbesitzer*innen eine vermeintlich kostengünstige Entsorgung darstellt, sorgt für Ärger bei den verbleibenden Bewohner*innen.
Diese finden keinen ausreichenden Platz mehr für ihre Räder und müssen im schlimmsten Fall die Entsorgung der Alträder über ihre Betriebskostenabrechnung mitbezahlen.
Um Lösungen für solche und zahlreiche andere Probleme im Zusammenleben zu finden, gibt es seit 2021 den Wohnhofbeirat Hopfgartenstraße. Hier beraten engagierte Wohnhofbewohner*innen – sogenannte Haussprecher*innen – viermal im Jahr gemeinsam mit dem Wohnungseigentümer Vonovia und dem von der Stadt beauftragten Quartiersmanagement für das Fördergebiet Nördliche Johannstadt, wie der Wohnhof verschönert und das Zusammenleben verbessert werden kann. In Hausversammlungen und Beiratssitzungen wurden dafür mehr als 200 Vorschläge von Bewohner*innen erfasst, von denen ein Großteil bereits umgesetzt ist.
Eines der vielen beratenen Themen im Wohnhofbeirat war die Suche nach einer Lösung für die vielen Schrottfahrräder in den Kellern, die niemandem mehr gehören. Auf Vorschlag aus dem Beirat hat Vonovia alle Mieter*innen per Aushang um Kennzeichnung ihrer Räder gebeten und nach Ablauf einer Frist alle nicht gekennzeichneten Räder in desolatem Zustand entfernt. Eigentlich hätten diese Räder nun entsorgt werden müssen, aber da kam die berechtigte Anregung aus dem Beirat: Sollte man nicht vorher prüfen, ob eine Reparatur möglich ist? Schließlich gibt es auch Menschen, die nach einfachen Fahrrädern suchen, und in Zeiten knapper Ressourcen sollte doch nichts weggeworfen werden, was noch Verwendung finden kann. Ein für alle überzeugender Gedanke, aber wie setzt man ihn um?
Vonovia bot eine Einlagerung der Räder in einem separaten Kellerraum und die Freigabe nach einer angemessenen Lagerfrist sowie einer Diebstahlprüfung durch die Polizei an. Aber keines der Beiratsmitglieder sah sich in der Lage, die Reparatur zu organisieren. Anfragen bei Fahrradselbsthilfeprojekten führten aus Kapazitätsgründen nicht weiter. Schließlich berichteten die Beiratsmitglieder Jutta Petzold-Herrmann und Jacqueline Kühn von einem Hausbewohner, der im Hof regelmäßig an Fahrrädern schraubt: Alexandr Poddubny.
Alexandr Poddubny stammt ursprünglich aus der Republik Kirgistan, für die er als Profifechter an vielen internationalen Wettkämpfen und im Jahr 2000 sogar an den Olympischen Spielen in Sydney teilnahm. Seit 2000 lebt er in Dresden im Wohnhof an der Hopfgartenstraße. Sein Hobby ist die Fahrradreparatur. Auf Ansprache seiner Haussprecherin erklärte er sich einverstanden, gegen eine kleine Aufwandsentschädigung die Reparatur der eingelagerten Fahrräder zu übernehmen, um sie anschließend sozialen Einrichtungen zu übergeben.
Für die Aufbereitung von angestrebten rund 20 Rädern wurden für Reparatur und Ersatzteile rund 650 EUR benötigt. Um das Projekt umsetzen zu können, galt es also, einen entsprechenden Förderantrag auf den Weg zu bringen. Hierfür kamen Alexandr Poddubny und Jutta Petzold-Herrmann im September 2023 in die Sprechstunde des Quartiersmanagements. Das Quartiersmanagement verwaltet im Auftrag der Stadt den Verfügungsfonds Nördliche Johannstadt, der im Rahmen des Programms „Sozialer Zusammenhalt“ jedes Jahr mit 10.000 EUR Städtebaufördermitteln von Bund, Freistaat Sachsen und Landeshauptstadt Dresden sowie 10.000 EUR kommunalen Eigenmitteln gefüllt wird. Aus dem Verfügungsfonds können Projekte zur Unterstützung der Fördergebietsziele gefördert werden. Seit 2015 wurden so mehr als 130 Projekte von Bewohner*innen und Einrichtungen im Fördergebiet unterstützt. Das vorgeschlagene Projekt „Fahrradreparatur für Hilfsbedürftige“ trägt mit der „Unterstützung von Hilfsbedürftigen“ sowie der „Beteiligung und Mitgestaltung“ zur Verwirklichung mehrerer Fördergebietsziele bei und ist somit grundsätzlich förderfähig. Das Quartiersmanagement unterstützt gern bei der Antragstellung, und so war ein Antrag schnell erstellt.
Die Entscheidung über die Verwendung des Verfügungsfonds obliegt grundsätzlich dem Stadtteilbeirat Johannstadt. Zur Förderung von Projekten im Wohnhof Hopfgartenstraße delegiert dieser seit 2022 jährlich einen Teilbetrag in die Hände des Wohnhofbeirats Hopfgartenstraße. Gemeinsam mit einer Kofinanzierung von Vonovia in gleicher Höhe entstand so der Wohnhoffonds, mit dem die Wohnhofbeiräte Projekte wie das von Alexandr Poddubny eigenständig fördern können. 2023 verfügte dieser kleine Fördertopf über insgesamt 4.000 EUR. Der Projektvorschlag “Fahrradreparatur für Hilfsbedürftige” stand am 27.9.2023 auf der Agenda des Wohnhofbeirats, und die Förderung wurde einstimmig beschlossen.
Für die Umsetzung des Projektes stellte Vonovia einen Kellerraum bereit, in dem Alexandr Poddubny zwischen 1. Oktober und 31. Dezember 2023 Fahrräder aufbereitete. Die benötigten Ersatzteile stammten dabei bis auf wenige Ausnahmen von anderen desolaten Fahrrädern. Auch beim Sperrmüllaktionstag des Wohnhofbeirats im Oktober 2023 wurde Herr Poddubny fündig und fand eine ganze Reihe fast neuwertiger Reifen, die andere Mieter*innen offenbar loswerden wollte und die im Handel viel Geld gekostet hätten. So waren Ende 2023 insgesamt 21 Fahrräder übergabefertig. Im Durchschnitt war aus drei Schrottfahrrädern ein funktionstüchtiges entstanden.
Das Quartiersmanagement stellte Kontakt her zu Einrichtungen im Umfeld. Ausländerrat und Abenteuerspielplatz signalisierten Interesse an Kinder- und kleineren Damenrädern. Da bisher vor allem Erwachsenenfahrräder anfielen, fragte die Vonovia die Lebenshilfe Dresden an. Diese stellt die Räder nach nochmaliger Prüfung auf die Fahrtüchtigkeit im Rahmen der Straßenverkehrsordnung Menschen mit kleinem Geldbeutel zum Erwerb zur Verfügung. Am 21.3.2024 fand die Übergabe der 21 aufbereiteten Fahrräder an den Lebenshilfe Dresden e.V. im Wohnhof statt.
Das Pilotprojekt „Fahrradaufbereitung für Hilfsbedürftige“ war somit erfolgreich abgeschlossen, aber noch waren längst nicht alle aus den Kellern entfernten Räder repariert. 2024 haben Vonovia und Stadtteilbeirat 3.000 EUR für den Wohnhoffonds bereitgestellt. Daher beschloss der Wohnhofbeirat am 11.3.2024 die Förderung eines Folgeprojektes für weitere drei Monate. So stellte Alexandr Poddubny bis Sommer 2024 weitere 21 Fahrräder fertig.
Bei der Berichterstattung über das Projekt im Stadtteilbeirat Johannstadt signalisierte die Schulleiterin der 101. Oberschule “Johannes Gutenberg”, Juliana Dressel-Zagatowski, Bedarf an Fahrrädern. Viele ihrer Schüler*innen besitzen kein eigenes Fahrrad. Die Oberschule möchte die Räder nicht nur an Schüler*innen verleihen, sondern durch die Einrichtung einer Fahrradwerkstatt auch für die Instandhaltung und Reparatur dieser Räder sorgen. Vor der kommenden Wohnhofbeiratssitzung am 17.9.2024 erfolgt daher nun die Übergabe der nächsten 21 aufbereiteten Räder an die 101. Oberschule „Johannes Gutenberg“.
“Das ist eine Win-Win-Situation für alle und ein sehr gelungenes Projekt. Wenn ein Bewohner ausrangierte und nicht mehr komplette Fahrräder für Hilfsbedürftige aufbereitet, ist das eine Aktion, die wir sehr gern unterstützen.“, sagt Alexander Wuttke, Leiter der Region Dresden Mitte-West bei Vonovia und zuständig für die Johannstadt. „Für uns als Wohnungsunternehmen hat das zudem den Vorteil, dass Gemeinschaftsflächen wie Treppenhäuser oder Keller von herrenlosen Fahrrädern befreit und diese dann einer nachhaltigen Nutzung zugeführt werden“, so Alexander Wuttke weiter.
Der Wohnhofbeirat freut sich über weitere Mitwirkende. Bewohner*innen, die Ideen zur Verbesserung des Zusammenlebens im Wohnhof Hopfgartenstraße haben und an der Verschönerung des Wohnhofs mitwirken wollen, können sich an das Quartiersmanagement Nördliche Johannstadt (im Johannstädter Kulturtreff, Elisenstraße 35, Tel. 0351-21961804, E-Mail: info@qm-johannstadt.de) wenden.
Weitere Informationen:
• Zum Wohnhofbeirat: www.johannstadt.de/wohnhofbeirat
• Zum Verfügungsfonds Nördliche Johannstadt: www.johannstadt.de/verfuegungsfonds
• Zum Projekt: www.johannstadt.de/projekte/fahrradreparatur-fuer-hilfsbeduerftige