Ein Anwohner der Gerokstraße interessiert sich für die Bauarbeiten an der Trinitatiskirche und kommt mit Pfarrer Tobias Funke ins Gespräch. Als Dankeschön übersendet er einen persönlichen Johannstädter Erinnerungstext an ihn. Die Stadtteilredaktion freut sich, diesen hiermit veröffentlichen zu dürfen:
Es war ein Glücksfall 1963. Nach unserer Hochzeit Anfang Juni konnten wir immerhin einen Minihaushalt in einem Zimmer gestalten. Dann folgte mit Hilfe einer Anzeige der zweite Glücksfall. Eine kleine Wohnung am Leutewitzer Park und damit, welch’ Komfort, ein Wechsel von Trockentoilette zur Wasserspülung. Unser Nachwuchs hatte es ziemlich eilig und im August 1965 waren wir schon zu viert. Also begann die Suche nach einer anderen Bleibe. Ein kleines Haus oder doch lieber eine Mietwohnung ? Versuch auf Versuch. So vergingen einige Jahre.
Dann 1969 der dritte Glücksfall. Ein Angebot der Betriebswohnungskommission für eine größere Wohnung in der Südvorstadt, nun schon mit Bad und Innentoilette. Welch eine Aussicht. Aber unmittelbar danach eine erneute Wendung. Es hieß, wir könnten auch in einen Neubau in Johannstadt ziehen. Als ich das einem Freund sagte, fragte er, warum wir den so weit weg – nach Johann-Georgenstadt – ziehen wollten. Der Irrtum war natürlich schnell aufgeklärt.
Dann kam alles ganz anders
Wir waren selbstverständlich sehr neugierig, wo genau wir denn künftig wohnen würden. Also fuhren wir nach einem Blick auf den Stadtplan Dresden am folgenden Wochenende das erste Mal nach Johannstadt. Zwischen Käthe-Kollwitz-Ufer und Striesener Straße fanden wir zwar viele unkrautbewachsene Flächen, jedoch nur wenig Bautätigkeit vor. Lediglich an der Gerokstraße stand ein Kran und man konnte ahnen, dass da wohl ein Haus von beachtlicher Länge entstehen müsste. Zwei Kollegen waren vor einiger Zeit in ein Haus an der Zöllnerstraße eigenzogen, konnten mir allerdings auch nichts Näheres sagen. Meine Nachfrage bei der Wohnungskommission ergab eine ziemlich verschwommene Aussage. Wir bekämen eine Wohnung im Block 3 an der Gerokstraße in der siebenten Etage mit Blick nach Süden. Das konnte ja wohl nur mit dem gesichteten Kran zusammen hängen. Am darauffolgenden Wochenende folglich ein neuer Ausflug nach Johannstadt. Der Bau hatte sichtbare Fortschritte gemacht. Es waren schon drei Hauseingänge zu erkennen.
Die große Baugrube in Richtung Sachsenplatz ließ weitere Hauseingänge vermuten. Wir wollten mehr wissen und fuhren deshalb an einem Wochentag zur Baustelle. Einen Bauarbeiter fragte ich, wo denn der Block 3 entstünde. Er nahm seinen Helm ab, kratzte sich am Kopf und blickte etwas ratlos in Richtung der damaligen Schumannstraße, wo ein Bagger begann, sich in die Erde zu wühlen. Dann meinte er zögernd, dass dies wohl nur mit den drei bereits sichtbaren Hauseingängen zusammenhängen könnte.
Hurra, wir glaubten nun, Gewissheit zu haben. Zur Bauruhe an einem der nächsten Wochenenden führte uns der Weg in einen der drei Hauseingänge, über denen sich schon vier oder fünf der zehn vorgesehenen Etagen übereinander türmten.
Unsere „Bewaffnung“ zur Erstürmung unserer Zukunft waren ein Zollstock, Papier und Bleistift. Zentimetergenau haben wir im ersten Stock den Wohnungsgrundriss, die Breite der Fenster und alle anderen augenscheinlichen Notwendigkeiten vermessen.
Zu Hause folgte dann die maßstabsgerechte Einrichtung der Wohnung mit vorhandenen Möbeln und notwendiger Zukäufe.Und dann kam doch alles ganz anders.
Zwei Flaschen Bergmannschnaps
Fast nebenbei erhielten wir die Information, dass sich unsere künftige Wohnung in einem fünfzehngeschossigen Hochhaus, wie am damaligen Fućikplatz bereits vorhanden, befinden solle. Da, wo der Bagger inzwischen zwei ansehnliche Gruben links und rechts seiner Schienenbahn freigelegt hatte. Dann hätte die Vermessung unserer „neuen Welt“ gar keinen Sinn gehabt. Jetzt nahmen wir Kontakt zur Kommunalen Wohnungsverwaltung auf.
Frau P., eine kleine, rundliche, etwas aufgedonnerte Dame, rief zunächst bei meiner Wohnungskommission an, ob wir überhaupt berechtigt seien, Anfragen zu stellen. Nachdem ihre Neugier befriedigt war, erfuhren wir, dass wir tatsächlich in einem dieser Hochhäuser unser Zuhause haben sollten.
Als sie mir die Auskunft erteilte, hatte sie schon Monate voraus gedacht. Sie fragte mich nämlich, ob ich denn die Funktion des „Etagenverantwortlichen“ übernehmen könne. Es ging zum Beispiel darum, die Pflege des unserer Etage zugeordneten Rosenbeetes zu gewährleisten. Es hätte sich sicher auch ein anderer Neumieter bereit erklärt, aber ich dachte ebenfalls etwas weiter. Eine stabile Beziehung zur KWV 12 könnte in der Zukunft keinesfalls schaden, dachte ich. Als ich deshalb das nach einigem Zögern zusagte, ließ sie sich sogar unsere künftige Wohnungsnummer entlocken. Es würde die Wohnung 704 sein.
Als ich meinem Eltern, sie wohnten in einer Kleinstadt unweit von Dresden, vom näher rückenden Glück, Dreizimmer-Wohnung mit Fernheizung, erzählte, meinte mein Vater, dass er sich in solch einem “Karnickelstall“ nie wohlfühlen würde. Großstadtweite und Kleinstadtmief sind eben zwei recht unterschiedliche Dinge.
Einige Wochen lang beobachteten wir ab und zu durch den neuerdings vorhandenen Bauzaun entlang der Gerokstraße den Baufortschritt, Es ging ganz schön voran. An einem Wochentag pirschte ich mich nach einigen vergeblichen Anläufen an den Bauleiter, um zu erfahren, wann denn mit dem Einzug gerechnet werden könne.
Zwei Flaschen Bergmannsschnaps, sie könnten sich das Zeug ja an kühlen Tagen dem Frühstückstee beimischen, lösten die Zunge etwas. Also, er rechne so mit Anfang bis Mitte November, jedoch nur, wenn der Plan eingehalten werden könne und das sei eben fraglich. Phantastisch, das hieße ja, Weihnachten im Hochhaus. Wiederum nahmen wir, als das Haus etwa drei Etagen gewachsen war, eine Vermessung des Grundrisses vor, denn wir wussten nun genau, wo sich die Wohnung 704 befinden würde.
Es kann los gehen!
Einmal im September wagten wir uns, die Kinder fest an der Hand haltend, sogar in die siebente Etage in unser zukünftiges Domizil und genossen die Aussicht. Der Blick ging weit nach Süden bis zur Babisnauer Pappel, in Bodennähe bis zur Striesener Straße. Die ganze Fläche schön bunt mit viel grünen und anderem Gestrüpp.
An einem Sommerabend zog es mich wieder nach Johannstadt zur Baustelle. Das Schlupfloch im Bauzaun war noch vorhanden, aber der Haupteingang zum Haus war versperrt. Ich versuchte es über einen Seiteneingang. Plötzlich hinter mir Hundegebell. Bei meinem Respekt vor Hunden eine schwierige Situation, aber das Tier war glücklicherweise angeleint. Der zugehörige Wächter war recht zugängig. Das Haus sei nun verschlossen, weil inzwischen schon der Großteil der Küchen eingebaut sei. Ab diesem Zeitpunkt also nichts mehr mit „Besichtigungen“.
Gegen Ende Oktober sickerte die vorgesehene Übergabe der Wohnungen zu uns durch. Ab 20. November könnten die Schlüssel empfangen werden. Der Kohlevorrat in unserem Keller müsste also reichen.
Dann die neue Nachricht. Es gebe doch noch Verzögerungen. Genaues könne man nicht sagen. Die Kohlen gingen aus und ich holte noch zwei Zentner. Aber auch die waren in unserer Wohnung im Erdgeschoss bald aufgebraucht. Dann die Nachricht: Mit Weihnachten wird das nichts mehr. Nochmals ein oder zwei Sack Kohlen. Der Händler fragte, ob er denn nicht eine volle Ladung anliefern solle, der Winter stünde ja erst noch bevor.
Neuer Termin: 20. Januar 1970. Neue Absage: Das Wasser ist noch nicht in Ordnung. Natürlich: Nochmals ein Kohletransport, nun aber nur noch ein Sack.
Die Bestellung des Möbeltransportes war damals auch so ein Problemchen. Zweimal habe ich den Termin bei der Firma Seidel neu aushandeln müssen.
Endlich die Aussage: Es kann losgehen. Genau 25 Jahre nach der furchtbaren Zerstörung Dresdens und damit fast der ganzen Johannstadt, am 13. Februar 1970, empfingen wir im künftigen Gemeinschaftsraum die Schlüssel zur Wohnung.
Von Borsberg bis Frauenkirche
Schon am nächsten Tag und an den folgenden Tagen haben wir die „lockeren“ Haushaltsgegenstände in den Trabant gepackt. Weil vorerst nur ein Fahrstuhl, warum weiß ich nicht, zur Verfügung stand, haben wir den Großteil der Ladungen mit Wäschekörben nach oben geschleppt. Vier Tage später folgten dann die Möbel.
Noch einige Jahre nach unserem Einzug rumpelten tagsüber und teilweise nachts die Plattentransporter vom Plattenwerk Johannstadt laut scheppernd zu Baustellen an der Holbein-, Cranach- und anderen Straßen. Die Leerfahrten zurück zum Plattenwerk waren besonders gut zu hören.
Als Belästigung haben wir das eigentlich nicht empfunden. Wir dachten eher an die Menschen, die vielleicht nun ebenfalls ihre Nasen zu Besichtigungen und Vermessungen in die rasch wachsenden Häuser steckten. Wenn wir vierzig Jahre später den Ausblick genießen, müssen wir uns zwar etwas verbiegen, um die Babisnauer Pappel zu erspähen. Vor uns liegt aber ein wunderschöner Teil der Johannstadt und der etwas weitere Blick schweift vom Borsberg bis hin zur Frauenkirche. Der Fastverzicht auf die Pappelaussicht fällt nicht schwer. Eher macht es uns Freude, von der Pappel aus die Dresdner Johannstadt mit unserem Hochhaus zu suchen.
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