Worte zur Zeit zwischen den Jahren

eingestellt am 29.12.2021 von Philine Schlick, Headerbild: Foto: Philine Schlick

Die wirklich großen Dinge geschehen mitunter leise – und so tritt auch dieses neue Jahr ein. Kein Böllerkrach, kein Massentaumel. Nach den stillen Weihnachtstagen kommt 2022 heran gerauscht mit dem Flügelschlag der Tauben, mit dem Rascheln des Elbgrases im Wind.

Es ist der Stille zu verdanken, der verordneten Winterruhe, dass ich diese letzten Tage des Jahres so verbracht habe, wie es stets auf meinem inneren Wunschzettel steht, sich aber selten erfüllt: auf das Sofa gebreitet wie ein aushauchender Luftballon, verdient müde und angemessen geschafft, vertieft in den Tanz einer feinen Webe über dem Heizkörper. Denn das Vergangene hat Kraft gekostet. Auch Glück braucht Kraft.

Eichbaum im Schnee. Foto: Philine Schlick

Eine endliche Dunkelheit

So fand in der Heimat neben dem großen Schlemmen das große Schlafen statt. Entgegen aller Befürchtungen und der sonst unumgänglichen Präsenz, saß das Virus nicht mit am Tisch. Es wurde tot geschwiegen, war wenigstens für wenige heile Stunden besiegt, begraben wie ein Kriegsbeil. Ein Weihnachtswunder, wie alle da saßen. Beim Erzählen der Verluste, beim Zusammenlegen von Trost. Horch, nichts kam von draußen rein in diese warme Stube aus Aroma und Kerzenlicht, keine Spuren führten zum Haus hin – nur davon weg, durch pulvrigen, knirschenden Schnee in eine endliche Dunkelheit.

Über Nacht zauberte Väterchen Frost fragile Zepter aus dürrem Gras. Vergängliche Kristalle funkelten Leuchtsignale in ein alpines Himmelblau und an den Fenstern gediehen Eisblumen. Eine weiße Weihnacht, wer hätte es gedacht. Die folgenden Feiertage waren der Willkür vieler Wetter unterworfen: Schnee und Sonne, Tauwetter und Wind. Eben waren die Spazierwege noch hart wie gefrorenes Kaninchenfell, jetzt schon matscht es unter der Fußsohle wie im April.

Alles tritt deutlicher zu Tage im Winter. Foto: Anja Hilgert

Das Schwungrad holt neu aus

Das Wetter sieht von drinnen immer schlimmer aus, als es draußen tatsächlich ist, besagt die wahrhaftigste Bauernregel. Und so entpuppt sich grauer Nieselpiesel beim Durchschreiten als erquickender Küstennebel mit einem pfirsichfarbenen Abendhauch über der Altstadt. Die Rauhnachtsträume bleiben vage – auch das neue Jahr hüllt sich in Schweigen. Es bleibt lieber unerkannt, als zu viel zu versprechen. In der Johannstadt blühen hinter den Fenstern noch Sterne. Weihnachten klingt nach, die Zeit wandert im Schneckentempo und lässt Rückblicke zu.

Auf ausgezählte Wahlen, gegrabene Gruben, Dialoge, Paradiesvögel, vergangene Feste, verklingendes Feuerwerk, Abschiede, Ruhmestaten, endlich Vollbrachtes, kosmische Hochzeiten, eine Siedlung in der Schule, unbezahlbare Geschenke, gelegte Eier, Kämpfer*innen, lang erwartete Lichtblicke, Bahnbrechendes, neue Nachbar*innen, ehrende Blüten, große Pläne, bis wieder hin zu eisigen Zeiten am Ende des Jahreskreises.

Jetzt holt das Schwungrad neu aus, alles steht auf Anfang. Es liegt an uns, das Kommende zu begrüßen, zu gestalten und zu schmücken.

Wir danken Ihnen, liebe Leser*innen, für Kommentare, Zuspruch, Kritik und freuen uns auf 2022 mit Ihnen! Bleiben Sie gesund und bleiben sie neugierig.

 

Herzlich im Namen der Stadtteilredaktion,

 

Philine Schlick

 

Stadtteilredaktion Johannstadt

Frohe Müllnachten und ein recyceltes neues Jahr – Ein Kommentar

eingestellt am 02.01.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Müllstern in der Elbwiese. Foto: Philine Schlick

Weihnachten und Silvester sind die Zeit der Geschenke, des Schlemmens und des Feierns – und damit die Hoch-Zeit des Mülls. Die “orangefarbenen Engel” der Stadtreinigung bringt ihn für die Haushalte um die Ecke. Alles können sie jedoch nicht bereinigen. Eine schmutzige Auseinandersetzung mit einem leidigen Thema.

Grün, braun und schwarz sind die Tonnen, die regelmäßig von der Stadtreinigung Dresden geleert werden. Seinen Sitz hat das Unternehmen in der Johannstadt und ist damit ein Lokalmatador.

Wenn der Großteil der Stadt sich zu Neujahr von der Nacht erholt, räumt die Stadtreinigung mit 40 Mitarbeiter*innen das Schlachtfeld auf. Foto: Philine Schlick

Susanne Kirsch, Pressesprecherin der Stadtreinigung, bestätigt, was angesichts überquellender Müllbehälter naheliegt: Zu Weihnachten und Silvester hat das Entsorgungspersonal besonders viel zu tun. Essen, Verpackungen und Gegenstände landen nicht nur massenweise auf dem Gabentisch, sondern auch in der Tonne. Oder daneben. In der Johannstadt, in der sich zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser finden, ist das Müllaufkommen höher als in anderen Stadtteilen, so Kirsch.

Auf die richtige Tonne kommt’s an

Probleme ergeben sich, wenn Autos den Zugang zu Mülltonnen versperren oder Tonnen mit “falschem” Müll befüllt sind. In diesem Fall wird der Behälter markiert und muss vom jeweiligen Eigentümer sortiert werden: Metall in der Gelben Tonne, Plastik im Biomüll, Elektronik im Restmüll: Solche Fehler behindern das umweltfreundliche Recyceln des Abfalls.

Müll oder nicht Müll? Die Frage kann für unterhaltsame analoge Chatverläufe sorgen. Foto: Philine Schlick

Der Inhalt der schwarzen Restmülltonnen wird von den orangefarbenen Lastern der Stadtreinigung zur Biologisch-Mechanischen Abfallaufbereitungsanlage (BMA) am Hammerweg verbracht. Dort wird der Inhalt sortiert und entwässert. Das Endprodukt der Prozesse ist Trockenstabilat, ein Ersatzbrennstoff, der alternativ zu fossilen Brennstoffen in Zement- und Kraftwerken verwendet wird. Der Heizwert des Stabilats, das lose oder als Pellet ausgeliefert wird, ist mit 12 bis 14 MJ je Kilo doppelt so hoch wie der von Braunkohle.

Der Rest vom großen Fest

Eine Extraportion Müll muss die Stadtreinigung am Ende des Jahres bewältigen. Für die ausrangierten Tannenbäume stehen Container bereit.

Der Weg ins neue Jahr ist gepflastert mit Unrat. Foto: Philine Schlick

Das Aufsammeln der Raketen- und Böllerreste bleibt  Besen und Kehrmaschinen überlassen. Diese rollen über Pflaster und Asphalt – was vorerst liegen bleibt, sind die Müllnester auf den Elbwiesen. Die Radwege an der Elbe werden nicht anlassgebunden, sondern zu ihren regulären Terminen gereinigt.

Am Neujahrsmorgen war zu beobachten, wie sich Spaziergänger*innen mit Mülltüten am Großreinemachen beteiligten. Eine sinnige Idee. Was allerdings kleinteilig im Gras, in Gebüschen oder auch im Fluss landet, bleibt ungezählt. So sehr  die Johannstädter*innen ihre Elbwiesen, Tiere und Kinder und vor allem die Stille lieben – zum Silvesterabend wird das über Bord geworfen und einiges aufs Spiel gesetzt.

Verwunderlich ist besonders, dass volle Verpackungen und Flaschen enthusiastisch zu den Knallplätzen geschleppt werden – das Leergut jedoch regelmäßig an Ort und Stelle verbleibt, als wäre auf dem Heimweg eine Hand weniger frei.

Böllerreste und Scherben bilden nur die sichtbaren Überreste des Silvesterfestes. Foto: Philine Schlick

Was übrig bleibt vom großen Rausch ist ein gehöriges Maß an Müll. Am Neujahrstag hatte die Stadtreinigung allein in der Innenstadt 25 Tonnen gesammelt – bis zum Mittag. Insgesamt wird mit bis zu 45 Tonnen gerechnet. Same procedure as every year. Von den Knalltraumata der heimischen Fauna ganz abgesehen.

Ein Johannstädter Feuerwerk …?

“Es ist ja der Witz am Rausch, dass er gegen die Vernunft ist”, stellt Elisabeth Raether richtig fest. “Für wenige Momente erscheint das Menschsein wunderbar und mühelos.” Nun, von allen Rauschzuständen ist die Böllerei wohl die fragwürdigste. Ein Feuerwerk bietet wenigstens einen Augenschmaus – aber dumpfes Knallen? Das liebe Geld …

Verfechter*innen der alljährlichen Böllerei berufen sich auf die Tradition, böse Geister zu vertreiben. Böse Geister haben nur dort Platz, wo der Mensch von allen guten verlassen ist.

Dass nun gerade diese unnachhaltigste aller Traditionen beibehalten werden soll, erscheint mir unverständlich. Alternativ böte sich ein Neujahrsgesang an. Ein Blaskonzert, Pauken und Trompeten. Eine Feuershow, eine Lampion-Lichterkette. Eine bunt angestrahlte Waldschlösschenbrücke.

Der Himmel hat es zum Jahresende vorgemacht: Nachhaltige, stille, unvergleichliche Pracht. Foto: Philine Schlick

Oder, um der pyrotechnischen Kunst zu frönen: Ein zentrales Johannstädter Feuerwerk, finanziert vom Stadtteil, gezündet vom Profi. Herzchen und das Logo des SSV Turbine, ein dickes “JO!”, Kleeblätter und den Elbebiber könnte man in den Himmel schießen, dreißig fantastische Minuten lang und sich dafür feiern.

Es bliebe Zeit, den Blick zum Himmel zu richten und in aller Ruhe zu staunen ohne die ständige Furcht, eine verirrte Rakete in den Kragen zu bekommen. Das Gefummel an der Lunte unterbliebe und beide Hände wären frei – für die Liebsten, das Smartphone oder um sie lässig in die Jackentaschen zu stecken. Sauberes Neues!

Tanne adé!

Folgende Container-Standplätze zur Weihnachtsbaumabgabe befinden sich vom 30. Dezember bis 11. Januar kostenfrei in der Johannstadt:

    • Blumenstraße/Arnoldstraße
    • Bönischplatz
    • Hopfgartenstraße/Gerokstraße
    • Holbeinstraße (Nähe Permoserstraße)
    • Marschnerstraße/Dinglingerstraße

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

O du friedliche? Nachdenkliches zu den Festtagen

eingestellt am 24.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Worte können Brücken sein. Foto: Thomay Bay

Gastbeitrag von Thomas Bay

Jetzt ist wieder die Zeit, in der es früh dunkel wird. Wenn ich abends durch die Johannstadt gehe, kann ich die festlich geschmückten Fenster sehen und Weihnachtslieder hören, deren Thema nicht selten Frieden ist. Die Feiertage sind wie jedes Jahr schneller da als gedacht und man wünschte sich im Rahmen von Familie und Freunden gerne auch ein friedliches Weihnachtsfest. Bei den Messen wird aus dem Lukasevangelium eine der wichtigsten Botschaften Christi vorgetragen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.

Bei Geld für Rüstung herrscht Einigkeit

Aber wie sieht die Welt um uns herum aus? Inzwischen hört man praktisch täglich in den Medien das immer lauter werdende Säbelrasseln, die ununterbrochenen Rufe nach höheren Militärausgaben, nach mehr und noch tödlicheren Waffen sowie weiteren Militäreinsätzen. Während die Koalition in Berlin an 1,5 Milliarden Euro für arme Rentner fast zerbricht und man in den Medien widerstreitende Standpunkte lesen bzw. hören konnte, herrscht bei mehr Geld für Rüstung eine seltene Einigkeit von Grün bis Blau. Auch in den Medien ist kaum ein gegenteiliger Standpunkt zu finden. Von immer neuen Rüstungsprojekten, über den Aufbau einer europäischen Armee, um zukünftig auch ohne Unterstützung der USA eigenständig Krieg führen zu können, bis zu immer neuen Militäreinsätzen – demnächst werden wir wohl auch vor der chinesischen Küste verteidigt – gibt es zu allem kaum noch Widerspruch. Im Gegenteil: Jeder noch so widersinnige Vorschlag, wie deutsche Marineschiffe im Pazifik, findet breite Zustimmung in der Politik, der Presse und den dort auftretenden Expert*innen. Und ich frage mich: Wo soll das hinführen?

Haben mehr Waffen mehr Frieden gebracht?

Hat das Mehr an Waffen und militärischen Interventionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Welt um uns herum sicherer gemacht? Oder hat es zu den vielen Konflikten in unserer Nachbarschaft beigetragen, diese verschärft und zum Teil nicht sogar erst verursacht? Inzwischen werden Abrüstungsverträge wie der INF-Vertrag, der zur Vernichtung aller landgestützten Mittelstreckenraketen der USA und UdSSR führte, gekündigt. Die Diplomatie besteht praktisch nur noch aus gegenseitigen Vorwürfen, um auf Biegen und Brechen die eigene Position durchzusetzen oder Ultimaten aufzustellen, um den Gegner mit Sanktionen zu überziehen, unter denen in der Regel die Bevölkerung im jeweiligen Land am meisten zu leiden zu hat.

Wer sich dafür einsetzt, die Position des Opponenten und seine Gründe zumindest nachzuvollziehen und zu verstehen, sich mit ihm zusammenzusetzen und zu verhandeln, wird ganz schnell als Wen-auch-immer-Versteher diskreditiert, wenn nicht gleich zum Sympathisanten und Unterstützer erklärt, um jede Diskussion darüber mittels Kontaktschuld im Keim zu ersticken. Dieser Trend ist auch in Deutschland zu beobachten: Die verschiedenen politischen Lager reden fast nur noch übereinander und kaum noch miteinander, was zu einer immer tieferen Spaltung der Gesellschaft und Eskalation der Gewalt führt. Selbst zur Hochzeit des Kalten Krieges schafften es die amerikanischen und sowjetischen Kontrahenten sich an einen Tisch zu setzen, miteinander zu reden und vertrauensbildende Maßnahmen sowie Abrüstungsverträge zu vereinbaren. Warum ist das heute nicht mehr möglich? Wo sind die Politiker*innen und Medienschaffenden, die diese Position vertreten? Wo sind die Menschen, die ihren Wunsch nach einer solchen Politik lautbar werden lassen?

Was könnte alles erreicht werden …?

1800 Milliarden Dollar haben die Staaten der Welt im letzten Jahr für Rüstung ausgegeben. Dieses Jahr werden es noch mehr gewesen sein und bald 2 Billionen erreicht. Jahr für Jahr für Jahr. Der deutsche Verteidigungshaushalt wird 2020 die Rekordsumme von über 50 Milliarden Euro betragen und wenn in den kommenden Jahren das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreicht wird, werden es rund 70 Milliarden sein. Was könnten die Menschen mit diesem Geld alles erreichen, wenn wir es für sinnvollere Dinge als Waffen ausgeben würden? Mit einem Bruchteil des Geldes ließe sich ein Großteil der ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme, vor denen die Menschheit heute steht, lösen oder zumindest deutlich mildern und dadurch die Ursachen vieler Konflikte der heutigen Zeit beseitigen oder wenigstens stark verringern. Was ließe sich nicht alles damit finanzieren? Zugang zu ausreichend sauberen Trinkwasser und Nahrung, funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme, Bekämpfung der wachsenden sozialen Spaltung, zukunftsfähige Verkehrs- und Informationsinfrastruktur, Erhalt und Schutz der Natur …

Wir leben in keiner perfekten Welt. Waffen und die Fähigkeit sich zu verteidigen werden vorerst weiterhin notwendig sein. Wie wir an den Beispielen Jemen und Nordsyrien sehen, ist es jederzeit möglich, dass ein Land seinen Nachbarn überfällt und dort Krieg führt. Und es muss noch nicht einmal die Ächtung der Weltgemeinschaft oder auch nur der westlichen Wertegemeinschaft fürchten. Doch wäre es für unser aller Sicherheit und Wohlergehen nicht sinnvoller, mehr miteinander und auch mit dem (geo)politischen Gegner zu sprechen, anstatt immer weiter rhetorisch zu eskalieren?

Lasst uns die kommenden Tage und das nächste Jahr nutzen, um wieder mehr einander zu reden und einander zuzuhören, im Kleinen wie im Großen. Ich wünsche uns allen ein friedliches 2020.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.