Die Elb-Gänse in der Johannstadt warfen bei einer “Zeile”-Leserin zahlreiche Fragen auf. Die Stadtteilredaktion möge sich auf die Suche nach Antworten machen, bat sie in einer Zuschrift. Wir watschelten los, auf den Spuren der Gänse.
Das Wappentier der Johannstadt könnte eine Gans sein. Keine goldene, sondern eine Graugans: Selbstbewusst, international, gesellig, rührig, durchsetzungsstark, familiär. Anders als ihr Name vermuten lässt, trägt sie ein braun-creme-farbenes Gefieder. Das ist nicht das einzige Rätsel, das sie aufgibt. Eine Leserin wandte sich per E-Mail an die Stadtteilredaktion:
“Wo kommen sie her, warum kommen sie? Manchmal sitzen hunderte rechts und links vom Fahrradweg, dann, am nächsten Tag sind nur noch welche auf der linken oder rechten Seite, und dann wieder sind sie plötzlich alle weg (nicht eine sitzt noch am Ufer). Sie fressen unentwegt Gras, sind also fleißig. Wo sind sie, wenn sie ‘weg sind’, denn am nächsten Tag sind sie alle (soweit ich das beurteilen kann) wieder da. Und wenn sie für immer weg sind, wo fliegen sie dann hin? Legen sie Eier, wo brüten sie, und wo sind die Kleinen, alle sind gleich groß. Ich höre sie nachts schnattern, wann schlafen sie?”
Die Graugans als Wintergast
Die Graugans mit ihrem wiegenden Watschelgang strahlt Sesshaftigkeit aus. Und tatsächlich, gerade im Winter besiedeln das Johannstädter Elbufer Gänse. Was machen die denn hier?
Sebastian Schmidt vom Umweltamt kann das Rätsel lösen: “Die meisten der gegenwärtig an der Elbe zu beobachtenden Graugänse gehören nicht nach Dresden, sondern sie sind nur als Wintergäste bei uns. Die Elbe ist eine wichtige Zuglinie für durchziehende Wasservögel im Winter und zieht diese an.” Beheimatet auf jahrtausendealten Routen also.
Vom Zug- zum Standvogel
Von der Raststätte Dresden-Fährgarten geht es für die Graugänse weiter in den Süden bis auf die iberische Halbinsel, an die Adria, nach Tunesien und Algerien. Aber auch beim Vogelzug hat der Klimawandel Einflüsse: Durch steigende Jahrestemperaturen überwintern die Tiere immer weiter im Norden.
Einige ziehen nicht mehr, sondern werden sesshaft und damit von Zug- zu Standvögeln. Besonders dort, wo es reichliche Futtergründe gibt. Die Johannstadt zählt sicherlich dazu: Während tausende Artgenoss*innen Weihnachten und dem Martinstag zum Opfer fallen, wird den grauen Eminenzen in Johannstadt mit Krumen gehuldigt. Auf dem natürlichen Speiseplan der Graugans stehen Samen, Kräuter und Gräser, die sie an den Elbwiesen ebenfalls findet.
Zuviel energiereiches Futter wie Brot macht die Tiere schnell fett und damit krank. Bei guter Gesundheit haben sie das Zeug zu wahren Urgesteinen und können an die zwanzig Jahre alt werden.
Johannstadt in Teilzeit, Reise durch ganz Europa
In ganz Sachsen ansässig ist der bis zu vier Kilogramm schwere Wasservogel seit dem 19. Jahrhundert. “Der Bestand zählt zwischen 400 bis 600 Graugans-Brutpaare, vor allem in der Lausitz (dort sind auch wichtige Teiche zum Übernachten), weniger im Elbe-Röder-Bereich und nur einzelne in Nordwestsachsen. Auf Durchreise und Rastpause dagegen sind 3500 bis 4000 Gänse in Sachsen unterwegs”, führt Sebastian Schmidt aus.
Das ist auch der Grund, warum die Johannstädter Teilzeitgänse nie beim Brüten oder mit Gösseln zu sehen sind. “Die überwiegende Anzahl der zur Zeit in der Johannstadt zu beobachtenden Gänse ziehen also ihre Jungvögel gar nicht bei uns auf, sondern tun dieses in kälteren Regionen nördlich oder östlich von uns und kommen uns nur im Winter besuchen”, so der Experte.
Die Brutgebiete liegen in Großbritannien, an der skandinavischen Küste sowie in ganz Kontinentaleuropa nordöstlich einer Linie von Dünkirchen bis Patras in Griechenland, wobei die Hauptbrutgebiete sich in den Niederlanden, Norddeutschland, an der Südküste der Ostsee sowie in einem Gebiet zwischen Österreich, Ungarn und Tschechien befinden. Während ihrer Reisen ist die Graugans in ganz Europa anzutreffen.
Imposant sind die Vögel, neugierig und zweifelsohne majestätisch. Mit gerecktem Hals schreiten sie über den Onkel und kommentieren tratschend und glucksend das Gedrängel auf dem Fahrradweg. Hin und wieder lassen sie Federn – man findet sie im platt gedrückten Gras, ebenso wie ihre grünlichen Hinterlassenschaften.
Die Gänse zupfen Hälmchen am Fährgarten, ruhen mit dem Kopf unterm Flügel am Elbstrand und schippern hinüber zur Prießnitzmündung, um den Stockenten das Fürchten zu lehren. Graugänse sind tag- und nachtaktiv. Wenn sie bei der Futtersuche gestört werden, nehmen sie ihre Mahlzeiten einfach im Dunkeln ein. Deshalb hört man sie auch in der Nacht schnattern.