Spaziergang am Tag, als die Weltkriegsbombe entschärft wurde

eingestellt am 09.01.2025 von Nadine Kadic, Headerbild: Blick von der Gerokstraße auf Hochhäuser | Foto: Nadine Kadic

Verträumt liegt die Johannstadt heute unter der Sonne und lässt sich wärmen. Es ist halb 12 mittags an einem Donnerstag. Ein Teil des Stadtteils ist evakuiert, wegen eines Bombenfundes an der Carolabrücke. Von Hektik aber keine Spur, nur hier und da ein Auto oder Fahrrad, als ich auf der Pfotenhauerstraße laufe, die Nase in den Sonnenstrahlen.

Heute möchte ich an einem angespannten Tag einen Spaziergang durch unseren Stadtteil unternehmen. Als gestern die Weltkriegsbombe bei den Bauarbeiten an der eingestürzten Carolabrücke entdeckt wurde, herrschte Hektik in meinen WhatsApp-Gruppen: Müssen wir evakuiert werden? Wer ist betroffen? Wie akut ist die Situation? Zurecht, denn der Radius der Evakuierungszone reicht bis hinein in die Johannstadt. Das Haus, in dem ich wohne, ist zum Glück nicht betroffen.

Eigentlich hüte ich gerade krank das Bett, doch merke, dass ich Bewegung brauche. Eine innere Unruhe und der Bedarf an Lebensmitteln treibt mich nach draußen Richtung Aldi. Am Ende der Pfotenhauerstraße blinken routiniert blaue Lichter kurz hinter dem Bönischplatz. Kurz stocke ich in meiner Leichtigkeit, als eine Wolke vor die Sonne schwebt und Schatten auf mich und den Tag wirft. Die Unruhe bleibt. Wird alles gut ausgehen? Dresden braucht nicht noch eine Katastrophe.

Ich husche in den Aldi und komme schnell durch die Pflichtaufgabe des Einkaufens. Vom Aldiausgang aus werfe ich erneut einen Blick auf die Straßensperre. Polizeiautos haben sich mit Blaulicht in die Straßen Richtung Sachsenplatz und Kulturpalast gestellt. Hier geht’s nicht durch.

Scherben und Sonne auf der Lili-Elbe-Straße

Ich biege in die Lili-Elbe-Straße ein. Rechts von mir liegt die Grundschule „Johanna“, deren Spielplatz eben noch von tobenden Kindern überschwemmt war. Jetzt liegt er kinderleer neben mir und nur hinter der Schule auf dem Sportplatz jagt eine Gruppe Jungen und Mädchen hinter einem Fußball her. “Das war Hand!”, ruft ein Mann mit Mütze und kurz darauf fliegt der Ball ins Tor und ich höre lauten Jubel.

Jetzt macht sich die Sonne wieder Platz am Himmel. Vor mir steht ein angelehntes Fahrrad neben einer Frau, die ihren Rucksack zusammenpackt. Mein Blick fällt auf weiße Glasscherben, die fast schon schön in den Sonnenstrahlen glitzern. Wenn sie denn nur ein Kunstwerk wären. Sie sind aber kein Kunstwerk, sondern Müll. Sie gehören hier nicht hin, an diesen Ort der Begegnung, diesen Kinderspielplatz, diese Idylle. Die Lili-Elbe-Straße ist einer meiner Lieblingsorte in der Johannstadt.

Die Glocken der Trinitatiskirche beginnen zu läuten. 12 Uhr. Mittagszeit. Die Fahrrad-Frau ist inzwischen auf ihr Zweirad gestiegen und weggefahren. Ich setze mich auf eine der Bänke in die Sonne und eine Person mit Zipfelmütze tut es mir gleich. Sie packt ein kleines Kästchen aus, das ich nicht genau erkennen kann, und ich überlege, ob sie sich Zigaretten drehen will und dies ihr Tabakdöschen ist, doch dann greift sie nach Holzstäbchen und genießt asiatischen Nudeln. Lassen Sie es sich schmecken!

Ein älteres Pärchen läuft Hand in Hand an uns vorbei.

Ein Meer aus Knallerbsen

Hinter mir zieht sich der Himmel langsam mit dunklen Wolken zu. Als ich den dunkelblauen Schleier bemerke, setze ich meinen Spaziergang fort und nehme mir die Trinitatiskirche als Zielpunkt. Mir fällt beim Weitergehen auf, wie viele Böllerüberreste noch auf der Straße und dem Gehweg liegen, obwohl das Jahr schon seinen neunten Tag zählt. So wie es ausschaut, werden wir von der Silvesternacht noch länger ein Andenken haben.

Ein Mann mit einem Netz voller Orangen in der rechten Hand und einem Handy in der linken Hand überholt mich, gefolgt von einem Hund, der sein Herrchen an der Leine führt. Ich bewege mich im Schneckentempo auf mein Ziel die Trinitatiskirche zu. Immer wieder überholen mich Menschen, die es eiliger zu haben scheinen als ich.

An der Ecke zur Gerokstraße werfe ich dann einen Blick durch den Zaun auf ein Meer aus Knallerbsen. Die weißen Kugeln rufen mir zu, dass sie auf den Boden geworfen werden wollen, doch der Zaun trennt uns voneinander und ich kann diesen Wunsch nicht erfüllen. “Achtung! Betreten des Grundstücks verboten”, ermahnt ein Schild neben den Sträuchern. Ich blicke mich um, frage mich, ob der junge Mann mit den Kopfhörern oder die weißhaarige Frau mit Rollator ebenfalls gern Knallerbsen werfen würden. Wahrscheinlich nicht. Sie scheinen anderen Gedanken nachzuhängen.

Ich erhebe meinen Blick über die Sträucher und sehe die Hochhäuser an der Pfotenhauerstraße hell erleuchtet von der Sonne vor dem dunklen Horizont. Wie ein Gemälde liegt die Johannstadt vor mir! Ich mache einige Fotos und wende mich erst ab, als ein Bofrost-Transporter an mir vorbei über das Pflaster rast. Der hat es definitiv eilig.

Krah, krah, krah! – Krähen auf dem Friedhof

Vor der Trinitatiskirche rechen zwei Arbeiter Laub zusammen und sammeln Müll ein. Eine leere Pringles-Dose landet im grünen Sack. Ein Sportler joggt in Trainingskleidung an uns vorbei. Ein alter Herr mit Kartoffeln in der Hand bleibt stehen und schaut ihm nach.

Krah, krah, krah! Krähen sitzen auf dem Weg, der in den Trinitatisfriedhof hineinführt. Ob sie jemand gefüttert hat? Ich überlege, ein Foto von den klugen Vögeln zu machen, doch da steigt ein junger Mann im schwarzen Anzug aus einem Bestattungsfahrzeug aus und die Vogelschar stiebt nach oben. Er grüßt mich, als ich an ihm vorbeilaufe. Ich erwidere den Gruß. Auf einer Bank sitzen zwei Männer, schwarz gekleidet.

Der Friedhof liegt ruhig in der Stadt, nur die Baumwipfel werden durch stärker werdenden Wind in Bewegung versetzt und rauschen. Menschenleer. Die Gräber genießen ihre Mittagsruhe.

Und dann sehe ich doch jemanden: Einen Mann mit Arbeitshandschuhen, der eine Schubkarre und zwei Rechen abstellt. Die Arbeit geht weiter.

Zurück nach Hause

Am Ausgang des Friedhofs endet mein Spaziergang schon fast. Ich gelange auf die Hertelstraße, die an der Stadtreinigung vorbeiführt, wo ein großes Fahrzeug langsam vorwärts rollt. Ein Transporter der technischen Sammlungen fährt aus dem Wertstoffhof. Hier könnte ich meinen Weihnachtsbaum entsorgen, wenn ich einen hätte. Aber wir sind vor einigen Jahren schon auf einen Plastikbaum umgestiegen und müssen ihn, damit sich die Rechnung in puncto Nachhaltigkeit auszahlt, jetzt 17 Jahre lang benutzen.

Obwohl der Wind langsam stärker wird, strahlt die Sonne meinen Rücken noch wärmend an. Sie weist mir freundlich den Weg zurück nach Hause. Ich bin froh, als ich mich wieder mit einer warmen Decke und einem Tee auf das Sofa kuscheln kann.

12:33 Uhr vibriert mein Handy und teilt mit, dass die Evakuierung abgeschlossen ist und nun die Entschärfung der Weltkriegsbombe beginnen kann.

Eine Stunde später die Erleichterung: die Bombe ist entschärft.

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