Люди » Curt Kirschner und die Rettung Sparkasse

eingestellt am 02.07.2024 von Anja Hilgert (ZEILE), zuletzt geändert am 02.07.2024

Beitrag von Anja Hilgert, 2021

Ein Sohn erzählt die Geschichte seines Vaters. Bis ins hohe Alter setzt er sich gemeinsam mit seiner Frau für eine Gedenktafel und deren Wiederanbringung an dem Gebäude in der Johannstadt ein, dessen Bewahrung sich den Verdiensten von Curt Kirschner verdankt. Bis heute dient dieses Haus der Sparkasse Dresden als Hauptsitz.
Hinter dem vehementen Bedürfnis nach Anerkennung des Lebenswerks seines Vaters steht die Wiedergutmachung am Schicksal eines Einzelnen, den politische Interessen und die Willkür eines Systems nicht von seinem Weg abbringen konnten.

 

 

Am Radio fing alles an…

„Das war es, warum ich angefangen habe, Radios zu bauen – das mache ich bis heute“, beginnt Walter Kirschner, Jahrgang 1936, die Einblicke in seine Kindheit. „Ich höre heute noch über Satellit Auslandsradio, nachts, wenn ich wegen der Kreuzschmerzen nicht schlafen kann, damit es nicht so langweilig ist,“ erklärt er.

Gleich nach dem Krieg hat er damit angefangen, Radios zu reparieren, „bei einem, der saß in einem Bauernhof in der letzten Spitze von Reick, der war im Krieg Funker gewesen. Radios lagen überall in den Ruinen herum, er sammelte sie auf und verwertete die Ersatzteile. Der hat aus allem etwas gemacht. In mir hatte er einen zum Reden und einen, dem er etwas zeigen konnte, und ich habe mit 10 Jahren gelernt, alte Radios zu reparieren“, berichtet der Ingenieur, der seinen Beruf im Fernmeldewesen ausgeübt hat. „Ich habe das fortgesetzt und gute Radios für Kurzwelle gebaut, weil ich Interesse hatte.“

 

Zu Besuch bei Walter Kirschner  Foto: Anja Hilgert

 

Kurzwellen-Radios und die Schornsteinklappe im Keller

Damals, am 13.Februar 1945 war sein Vater zu einem Freund gegangen, nur 500 Meter weiter die Straße hinunter. Der hatte ein sehr gutes Radio, „mit gespreizter Kurzwelle“, wie Walter Kirschner bemerkt, bevor er fortfährt zu erzählen. „Mein Vater ging regelmäßig zu ihm, um den Londoner Rundfunk zu hören. Die Kurzwellensender in ganz Europa sendeten zu gewissen Zeiten am Tage auf deutsch, um die Bevölkerung zu informieren. Vor der Nachrichtenübertragung ließ der Londoner Rundfunk den Big Ben läuten, schon eine Viertelstunde vorher, damit man ihn finden konnte“, erinnert sich der 84-Jährige.

„Dort also hat er Radio gehört, als über der Stadt die Sirenen losgingen. Meine Mutter hat das vernommen. Sie hat mich aus dem Bette gerissen, mit dem Nachthemd in den Keller. Im Kellergang war eine Bank, da haben wir alle drauf gesessen. Es kamen drei Sprengbomben und zwar zwei hinters Haus und eine direkt auf den Wäscheplatz. Das Haus neben uns war bis zum Keller weg von den Bomben. Unseres stand noch halb da. Mein Schlafzimmer war zur Hälfte weg und auf dem Kopfkissen lag das Fensterblech. Dann kam mein Vater nach Hause. Als etwas Ruhe herrschte, war er eiligst losgerannt.

Im Radio war gemeldet worden: ‚Schwere Bomber unterwegs Richtung Dresden’. Das war das Privileg des Londoner Rundfunks, von der Wahrheit zu berichten. Zu dem Zeitpunkt wussten die aber auch nicht, daß die Bomber im Anflug auf Dresden waren – sie haben nur gesagt ‚in Richtung Dresden‘. Das hat mein Vater gehört, als die Sirene heulte und er nicht mehr loslaufen konnte, weil die Bomber schon da waren.

Ich habe im Keller vor einer Schornsteinfegerklappe gesessen. Das war eine Betonklappe mit zwei Deckeln, wo nach dem Kehren der Ruß herausgeholt wurde. Keiner hat da an etwas gedacht, und ich war ja erst 8 Jahre alt und habe davor gesessen. Der Luftdruck von außen war so groß, dass ein riesiger Überdruck herrschte, der über den Schornstein sofort da war. Die Klappe sprang auf und mir ins Kreuz, weil ich gerade in der Höhe saß. Ich flog an die gegenüberliegende Wand, da hat’s mir ein paar Zähne abgeknallt. Seitdem habe ich mit der Wirbelsäule die Probleme. Als es dann, als ich Kind war, gar nicht mehr ging und ich fast steif war, hat mich meine Mutter zum Arzt gebracht.“ Er empfahl turnen zu gehen; eine andere Medizin hatte er nicht.

 

Die goldene Pforte der Sparkasse in Johannstadt. Foto: Anja Hilgert

Lack und Leder, Furnier, Granit und was so ging

„Mein Vater war bei der Städtischen Sparkasse Angestellter. Die Hauptstelle war auf der Schulgasse, direkt am Altmarkt, in Lack und Leder, Furnier, Granit, und was so ging. Die Eltern meines Vaters hatten einen Zeitungshandel am Sachsenplatz, vor dem Gericht. Er selbst ist in der Johannstadt als Arbeiterkind aufgewachsen. Die ganze Familie hing der SPD an, mein Vater war sein Leben lang Sozialdemokrat. Als Lehrling arbeitete er bei Rechtsanwälten und um 1926 fing er bei der Sparkasse an und machte dort alle Abteilungen durch, mit dem Schwerpunkt auf Immobilien und Krediten.

Und weil er das Talent dazu hatte, machte er neben seiner Tätigkeit auch die ganze Sparkassenwerbung: Er hat Kalender herausgegeben, Postkarten drucken und Sparbüchsen machen lassen. Das konnte er auch später nicht lassen, als er dann Direktor war. Die ganzen Sparkassen-Briefköpfe hat er entworfen. Es gibt auch noch einen Schriftzug der Sparkasse am Dorfplatz in Lockwitz, das sind in Beton gegossene Buchstaben. Die hat er nach ’45 in seinem Garten gegossen, Leisten auf den Weg gemacht, mit einem Eimer Beton ausgegossen und dann fertigen lassen, weil er wollte, dass die Sparkasse ein stattliches Aussehen bietet, das war ihm wichtig.“

 

Glanz nach der Wiederherstellung: Die Johannstädter Sparkasse   Foto: Anja Hilgert

Betondecken gebogen wie ein Trampolin

Nach dem Krieg war der jetzige Hauptsitz der Sparkasse zerbombt. Eine Zweigstelle befand sich in der Johannstadt in dem renommierten Erlwein-Stadthaus.

Hans Erlwein, der ab 1905 die Leitung des Hochbauamtes in Dresden inne hatte, baute in den folgenden zehn Jahren in der Stadt verteilt ca. 150 Gebäude, die der neuen Zeit Ausdruck verleihen sollten. Eines der renommierten Bauwerke war das damalige Johannstädter Stadthaus von 1914 – Erlwein signierte das Gebäude mit seinem typischen Namenssymbol, einer von einem Wappen gefassten Reliefplastik, die einen von Erlenzweigen umrankten Knaben in einer Weinkelter darstellt.

 

Signet des Erbauers Erlwein am ehemaligen Johannstädter Stadthaus. Foto: Anja Hilgert

 

„Hier war neben dem Schnapshändler, dem Hartmann, ein Café, die hatten Tassen mit einem knallroten Ring. Aus denen haben wir nach ’45 getrunken, weil wir ja ausgebombt waren und nichts mehr hatten. Wir waren, als wir mit unseren Betten im Freien standen, bei einem alten Mann gegenüber untergekommen. Dessen Bett haben wir in die Stube geräumt und sind dort in seine Schlafstube zu dritt eingezogen. Die ersten paar Tage haben wir so gewohnt, bis mein Vater sich nach einer festeren Bleibe für uns umsah. Die Tassen aus dem zerstörten Café hatte er dorthin mitgebracht.

Alles ringsum war abgebrannt. Die Häuser am Sachsenplatz haben zum Teil noch gestanden, wie die Jägerkaserne, mit Pracht-Fassaden aus Sandstein. Aber in der Johannstadt ist dann, was an gründerzeitlichen Fassaden noch stand, alles weggesprengt und dem Erdboden gleich gemacht worden.

Dass das Stadthaus den Bombenangriff in der Johannstadt einigermaßen gut erhalten überstanden hatte, war seiner Bauweise zu verdanken. In der neuen Stahlbeton-Bauweise war es mit wenig Material, hohen Mauern, großer Tragfähigkeit errichtet worden. Durch die Hitze nach den Brandbomben hatten sich allerdings die Betondecken verbogen. Beton hat bei Wärme eine andere Ausdehnung als Stahl. Als Kind war das lustig, wenn du da in die Mitte gegangen bist, dann hast du auf den Decken gestanden wie auf einem Trampolin.“

 

Historische Zeitzeugin: Die Sparkasse in Johannstadt   Foto: Anja Hilgert
Vom Stadthaus zur Sparkasse. Foto: Anja Hilgert

 

 

 

 

 

Auch den Krieg überstanden hat eine Plakatsäule, die damals vor dem Stadthaus stand. Gleich daneben hatte eine alte Frau ihr kleines Häuschen, aus dem sie Fassbrause verkaufte. Die Säule mit ihrer Weltkugel oben auf störte den damaligen Oberbürgermeister sehr. Ständig war sie ihm ein Dorn im Auge und andauernd verlangte er von meinem Vater ihren Abriss. Der aber stellte sich dagegen. Die alte Frau verkaufte, solange sie konnte, ihre Brause und die historische Litfaßsäule blieb. Heute ist sie denkmalgeschützt und städtisches Kulturerbe – sie steht noch immer an ihrem Ort am Güntzplatz.

Die historische Litfaßsäule vis-à-vis der Sparkasse als Schützling Curt Kirschners   Foto: Peter Weidenhagen,igeltour Dresden

Per Jeep zum Sparkassendirektor

„Nachdem die Russen schon in der Stadt einmarschiert waren, fuhr vor unserer neuen Bleibe eines Tages ein Jeep vor. Da saß einer mit einer Kalaschnikov, dann der Fahrer und hinten saß einer, der hatte ‚hier auf der Brust bissel was dran’: „Kirschner!“, sagte der Offizier. Nun konnten wir denen nichts verheimlichen. Mein Vater trat vor und wurde mitgenommen. Die Kommandantur war in der Lackfabrik. Dort saß der Stadtkommandant. Zu dem wurde mein Vater hin geschafft. Abends um Neune war er immer noch nicht da. Wir machten uns Gedanken, ‚Mensch, was wollen denn die‘, bis der Jeep schließlich wiederkam, und mein Vater war wieder da.

Wie das bei den Russen so war… Mein Vater musste erst einmal ins Bett. Am nächsten Morgen konnten wir ihn ansprechen: ‚Was haben sie denn mit dir gemacht?‘ Und er sagte bloß: ‚Ich bin heute schon Sparkassendirektor.‘“

 

Curt Kirschner in den Nachkriegsjahren Quelle: Walter Kirschner

Offizielle Einweihung

„Es gab unmittelbar nach dem Krieg noch keine Verwaltung. Alles Administrative wurde vom Stadtkommandanten befohlen. Bei den Russen war ein anderes Leitungsprinzip, mit Direktoren statt mit Vorständen, Verwaltungsräten und Aufsichtsräten. Ein Mann war verantwortlich und der musste repräsentieren, das war das Prinzip. Dazu hatte mein Vater ein Auto bekommen. Das hat ihm ein Fahrer vor die Türe gestellt, mein Vater konnte ja nicht Auto fahren, es war gar nicht üblich, dass man ein Auto hatte. Er fuhr Fahrrad, auch als Sparkassendirektor.

Mein Vater hat sich eingesetzt, dass das Johannstädter Stadthaus, das seiner Fassade nach noch gut erhalten da stand, nicht abgerissen, sondern bewahrt wurde. Beim Stadtkommandanten erwirkte er, dass er dieses Haus bekam, um es für die Sparkasse aufbauen zu können.

Als sein Junge war ich mit dabei und habe mit meinem kaputten Kreuze den Schutt rausgefahren, mit acht und neun Jahren und meine Mutter auch. Damit das erst einmal losging mit Aufbauen. Das war die Sonntagsbeschäftigung meines Vaters im ersten Jahr. Wir haben in einem Zimmer und einer Wohnküche gewohnt, in Reick. Die Sparkasse war das Wichtigste. Dort haben wir mindestens ein Dreivierteljahr Schutt geräumt. Mein Vater kannte in Reick bald Hinz und Kunz und hat die Bauern mit hergenommen, mit ihren Pferdefuhrwerken, dass sie alle den Schutt aus dem Sparkassenhaus rausgefahren haben.

Die Bauleitung hat er selber gemacht. Durch meinen Vater habe ich viel mitbekommen, wie er so gehandelt hat, wenn er z.B. mit einem Auto voller Schnaps ins Erzgebirge gefahren ist, um ein paar Ziegel gebrannt zu kriegen.“

 

Der Sparkassendirektor pumpt sein Rad auf, 1949  Quelle: Walter Kirschner

Betriebsfeier

„Der russische Kommandant rief ihn jede Woche zu sich. Diese Sparkassen-Leitungstätigkeit erfuhr einigermaßen Druck. Es gab kein Sparwesen, keine Zweigstelle, keiner konnte seinen Lohn ausgezahlt kriegen, weil ja keiner mehr Geld hatte. Der Kreislauf funktionierte nicht. Schon ab Mai 1949 waren die Räume im Erdgeschoss dann wieder behelfsmäßig nutzbar.

1949 hat es eine offizielle Einweihung gegeben, mit einer Betriebsfeier im Strehlener Hof. Da hat mein Vater mit meiner Mutter auf der Bühne gestanden. Die Belegschaft hatte ihm eine Ehrentafel aus Bronze gießen lassen. Die wurde ihm feierlich übergeben und wurde an der Seite des Gebäudes angebracht, wo sie jetzt auch hängt, als Ehre und Anerkennung seiner Leistung. Bei der Übergabe wurde das Gedicht vorgetragen.“

 

Gedicht auf den Sparkassendirektor von seiner Belegschaft 1949 Quelle: Walter Kirschner

Schrauben und Alukannen

„Dann war er Direktor, wie ein Direktor Direktor ist. Das große Eckzimmer hatte der Sparkassenpräsident des Landes Sachsen als Dienstzimmer und mein Vater als Direktor der Sparkasse Dresden war daneben im zweiten Zimmer. Dort war er öffentlich zugänglich. Bis zum Jahre 1951, das alles zur Wendung brachte. (…)

Curt Kirschner wurde im Jahr 1951 vom Dienst als Direktor entlassen, nachdem im gleichen Moment seine plötzliche Verhaftung erfolgte und er für nahezu ein ganzes Jahr im Gefängnis gehalten wurde – ohne jemals eine Anklageschrift oder einen Haftbefehl gesehen zu haben. Von der Polizeiwache auf der Schießgasse wurde er überführt zum Amtsgericht am Nürnberger Platz. „Wir durften ihn einmal besuchen, aber es durfte über nichts gesprochen werden, ausser wir sind gesund usw. Weder Haftbefehl, noch Haftbescheinigung, mit gar nichts, ohne Papiere ist er nach einem Dreivierteljahr aus dem Gefängnis entlassen worden.1952 ist er rausgekommen. Da kam er nach Hause und sagte: ‚Ich habe nichts auf der Hand. Ich weiss nicht, warum ich da drinnen war. Ich weiss nicht, warum ich entlassen worden bin.’“ Da war er Ende 55 Jahre alt.

Nach der Haftentlassung stand er ohne Arbeit da. Und schickte sein Parteibuch ins ZK ein. Der Zugang zu seinem Beruf blieb ihm verwehrt. Im schwarzen Arbeitsbuch, das zu der Zeit jeder Erwerbstätige hatte, steht bei Curt Kirschner an der einen Stelle Sparkassendirektor und anschließend…Schraubenwäscher. Um erst einmal Geld zu verdienen, arbeitete er als Hilfsarbeiter, wusch ölige Schrauben und putzte Alukannen für die Kuhmelker.

 

Das rückseitige Sparkassengelände in den 1970er Jahren


Fotos: unbekannter Stifter aus der Johannstadt

Wie Hemd und Schlips die Haltung wahren

Auf einem Gang nach Hause las er dann bei der Produktionsgenossenschaft des Handwerks PGH ein Schild, daß eine Bürokraft gesucht war. Lohnbuchhaltung, Schriftverkehr, Korrespondenzen, Verträge, damit kannte er sich aus und wurde eingestellt – „…da war er erst mal weg aus den VEBs und damit ‘raus aus dem Radius der Partei. Nach kurzer Zeit war er wieder Curt, jeder kannte ihn dort. Dort ist er auch wieder mit Schlips und Kragen hingegangen. Das macht die Haltung. Schließlich haben sie ihm die Mitgliedschaft angetragen und am Jahresende auch die Anteile ausgezahlt, wahrscheinlich mehr als er an Lohn gehabt hat. Sie haben ihn dort geachtet. Damit hat er bis zur Rente überlebt und seine Arbeit war anerkannt.“

Ich bin der Sohn vom Sparkassendirektor und ich habe das erlebt, sagt Walter Kirschner und fügt hinzu: „Und sie werden von mir auch kein Foto finden, wo ich nicht Hemd und Schlips an habe.“

 

Dankesrede an den Vater zur Einweihung der Ehrentafel        Foto: Inge Kirschner
Heutiger Hauptsitz der Ostsächsischen Sparkasse Dresden                              Foto: Walter Kirschner

 

 

 

 

 

 

Für die Anerkennung der Verdienste seines Vaters setzte sich sein Sohn als Zeitzeuge bis ins hohe Alter über Widerstände hinweg. Bestärkt durch die beharrliche Kraft von Seiten seiner Frau und Dank engagierter Unterstützung durch das Denkmalpflegeamt wurde 2015 die Ehrentafel zur Würdigung Curt Kirschners an der Sparkasse in der Johannstadt, wie sie heute im Eingangsbereich hängt, angebracht und offiziell eingeweiht.

Die wiederangebrachte Tafel zu Ehren Curt Kirschners. Foto: Anja Hilgert

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