Vermisst: Die spielenden Kinder, Bronzeskulptur vor der Johanna

eingestellt am 16.12.2021 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Die spielenden Kinder werden vermisst im Viertel Foto: Peter Weidenhagen igeltour Dresden

Manche vermissen, dass sie nicht mehr bei uns im Viertel tanzen – die beiden Kinder aus Bronze, die im Pflanzbeet vor der 102. Grundschule Johanna ihrer Lebensfreude so ausgelassen Schwung verliehen. Die Figurengruppe, die seit Jahrzehnten zum Stadtteil gehört, wurde als verschwunden gemeldet. Die Stadtteilredaktion hat die Spur aufgenommen…

 

Besagte Figurengruppe besteht aus einem jugendlichen Mädchen im sommerlichen Kleid, an dem der Rocksaum hochwippt, so sehr nimmt sie Schwung, einem kindlichen Jungen von hinten unter die Arme zu greifen und ihn hoch, vom Boden abzuheben.
Sich im Kreise drehend, lehnt das Mädchen sich gegen die Schwerkraft und zieht den Körper des Jungen mit sich, wie im Flug, bis die Beine des Knaben den Boden verlassen und mit der Fliehkraft der ganze Körper schwerelos hängt, der Junge sich der Leichtigkeit überlässt.
Mädchen wie Junge strahlen beim Kreiseln vor ausgelassener Freude, der beide sich hingeben.

 

Drehen sich zu allen Jahreszeiten, die spielenden Kinder der Bronzeplastik “Lebensfreude” vor der Johanna
Fotos: Peter Weidenhagen igeltour Dresden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lebensfreude im öffentlichen Raum

„Lebensfreude“ heisst die Bronze-Skulptur, die die Dresdner Bildhauerin Hildegard Jahn-Wiegel (1922-2009) im Jahr 1974/75 geschaffen hat. Mit 138 cm sind die Figuren etwa lebensgroß gefertigt. Für den Jungen und das etwas größere Mädchen, beide im Kindesalter, sollen die Tochter und der jüngste Sohn der Künstlerin Modell gestanden haben. Heute ist das Werk Teil der Sammlung des Kunstfonds des Freistaates Sachsen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und zählt damit zum Inventar einer der bedeutendsten Kunstsammlungen zur sächsischen Kunst nach 1945.

Nach Auskunft von Bertil Kalex, der sich im Rahmen des derzeit ausgeschriebenen Johannstädter Fotowettbewerbs 2021 “Kunst im öffentlichen Raum – Kunst am Bau” mit Kleinplastik im Stadtteil befasst, handelt es sich „um eines der wenigen Kunstwerke, welche im Rahmen des Wiederaufbauprogramms nach dem Krieg in Johannstadt an Ort und Stelle aufgestellt wurden. Viele andere im Stadtteil befindliche Kleinplastiken sind sogenannte Zweitaufstellungen, z.B. das Relief “Flug der Kraniche” von Rudolf Sitte vor der JohannStadthalle oder die Bronzeplastik “Traubenesser” aus der 1960er Jahren von Erich Otto vor dem Vereinshaus auf der Dürerstraße.“

 

Erwartete Rückkehr im Herbst 2022 Foto: Peter Weidenhagen igeltour Dresden

 

Die spielenden Kinder sind weg

Nachdem im Laufe diesen Jahres der „Schullebensraum“ in der Grundschule Johanna aufgewertet und neu gestaltet worden ist und insbesondere der Schulhof nach den Bauhüttenwochen viel kreativ-künstlerische Gestaltung erfahren und mehr und mehr kindgerechte Gestalt angenommen hat, fiel den daran aktiv Beteiligten nun auf, dass die Kunst vor dem Eingangstor zur Schule fehlt. Im Beet, wo die Kinderfiguren aus Bronze standen, klafft eine deutliche Lücke. Dass diese beiden spielenden Kinder weg sind, erschien ganz unverständlich und sorgte für zweifelnde Fragezeichen.

Wie Ramona Eichler, Mitarbeiterin im Amt für Kultur und Denkmalschutz, Abteilung Kultur und Kommunikation im Sachgebiet Kunstförderung/Kunst im öffentlichen Raum auf Anfrage nun mitteilte, „wurde die Figurengruppe wegen Bauarbeiten gesichert und von der Baufirma eingelagert. Nach Abschluss der Baumaßnahmen – voraussichtlich Herbst 2022 wird sie wieder am Standort aufgestellt.“ Also ist alles im Reinen.

 

Im Bild der Kunst

Seit Jahrzehnten standen sie wie selbstverständlich am Ort vor der Schule und waren im Vorbeigehen vielleicht sogar wenig geachtet, da immer da. Jetzt aber fehlen die Figuren und werden vermisst.

Vielleicht spiegelt sich hier im Bild der fehlenden Bronzeplastik auch das, was gerade wirklich vermisst wird: Das Tanzen fehlt. Die Freizügigkeit. Fröhliches Spielen, sich bei den Händen zu fassen und Feste zu feiern fehlt. Wir haben es für selbstverständlich gehalten. Das Kunstwerk hat es hervorgehoben und den besonderen Moment purer Lebensfreude manifestiert. Jetzt, wo das Gefühl wie eingelagert ist, vermissen wir das Elixier. Sehnsucht regt sich. Vielleicht, wenn auch die Beine den Boden nicht verlassen vor Freude, so können doch die Blicke gehoben, Gesichter offen und die Mundwinkel beweglich bleiben. Wir leben von der Leichtigkeit, vom Ausdruck der Freude, einander im Miteinander zu begegnen.