Offener Brief der Stadtteilrunde Johannstadt zur drohenden Prekarisierung von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil

eingestellt am 07.12.2022 von Bertil Kalex (Stadtteilverein), Headerbild: Johannstädter Ansichten. 101. Oberschule an der Pfotenhauerstraße. Hinten links im Bild die Trinitatiskirche mit dem Jugendtreff Trini. Rechts im Bild der Wohnhof Hopfgartenstraße, davor das zukünftige Familienzentrum des DKSB OV Dresden (im Bau). Foto: Anja Hilgert

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Stadträt*innen,

Ausgangslage unseres Briefes ist ein Treffen zwischen Stadtbezirksamtsleitung, Vonovia, Ordnungsamt, Wohnhofbeirat, Quartiersmanagement, Schulsozialarbeit, Mobiler Jugendarbeit, Polizei, Bürgerpolizei, sowie dem Stadtrats- und Landtagsabgeordneten Thomas Löser (Bündnis 90/Die Grünen) zu Konflikten in der Johannstadt. Dabei hat sich erneut die Bedeutung von (Frei-)Räumen und leicht zugänglichen Angeboten für Kinder- und Jugendliche bestätigt. Hierfür setzen sich die Mitglieder der Stadtteilrunde bereits seit vielen Jahren engagiert ein.

Die geförderten Angebote der Kinder- und Jugendhilfe im Stadtteil (siehe Anhang) sind, neben Kindergarten und Schule, die wichtigste Instanz des Kinder- und Jugendschutzes.
Sozialpädagogische Erfordernisse werden unter anderem in folgenden Bereichen deutlich:

  • mangelnde und unausgewogene Ernährung bei Kindern und Jugendlichen
  • nicht wettergemäße und dreckige Kleidung
  • (elterliche) Aufsichtspflichtverletzung
  • mangelnde Förderung, Vernachlässigung, Verwahrlosung
  • Gewalt unter Gleichaltrigen und Konflikte mit Anwohner*innen
  • nicht altersgerechte Freizeitgestaltung
  • gefährdender Medienkonsum
  • Drogenkonsum
  • finanzielle Notlagen und ungeklärter Leistungsbezug
  • sozialer Zusammenhalt ist gefährdet

Die in der Johannstadt etablierten Angebote bieten durch unterschiedliche Arbeitsansätze passgenaue Zugänge für Kinder und Jugendliche. Diese Zugänge drohen durch den aktuellen Haushaltsentwurf enorm eingeschränkt zu werden. Das hätte zur Folge, dass ein Teil der jungen Menschen nicht mehr erreicht werden kann, und sich die Situation in der Johannstadt zuspitzt. Um die Bedürfnisse junger Menschen im Stadtteil aufzugreifen, ist eine dauerhafte, stabile Beziehungsarbeit unabdingbar. Dies setzt Planungssicherheit für die geförderten Träger und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe voraus.

Im aktuellen Haushaltsentwurf fehlen mehr als 6 Millionen Euro für die Förderung der Kinder- und Jugendhilfe in Dresden. Die damit verbundenen Kürzungen drohen auch die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in der Johannstadt weiter zu prekarisieren und bestehende Konflikte zu verschärfen.

Um dies zu vermeiden fordern wir Sie als Verantwortungsträger*innen auf, sich für die Erhaltung und Erweiterung präventiv wirkender Angebote einzusetzen. Dafür ist eine Schließung der Haushaltslücke unumgänglich. Setzen Sie sich für die Belange der Kinder, Jugendlichen und deren Familien ein.

Wir erwarten eine Positionierung des Stadtrates gegenüber der Stadtteilrunde Johannstadt.

Mit hoffnungsvollen Grüßen
die Stadtteilrunde Johannstadt

Im Dezember 2022

Anhang
Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in der Johannstadt sind:

Spieltag im Hinterhof – Kampagnenaufruf der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

eingestellt am 17.03.2022 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Alte Spiele wieder entdecken in Angeboten der Kinder- und Jugendsozialarbeit Foto: Anja Hilgert

 

Am gestrigen Mittwoch wimmelte und wuselte es nur so von Kindern auf dem Spielplatz im Hinterhof Pfotenhauerstr. 16-28. Die Sonne hatte sie alle ohne viel Aufwand hervorgelockt. Jetzt kamen sie aus den umliegenden Wohnungen der Hopfgarten/Elisen/Pfotenhauerstraße, auch Kinder, die aus den anliegenden Kitas abgeholt waren, mischten sich mit ihren Eltern unter die Hofgesellschaft. Es war allen ein sichtlicher Genuss, sich endlich frei draussen bewegen und mit Gleichaltrigen spielen, umeinander und hintereinander her rennen und albern zu können. Es ging fröhlich, leicht und mühelos zu an diesem ersten echten Vorfrühlingsnachmittag.

 

Zum ersten Mal in diesem Jahr war mit unüberhörbarem, lauten Klingeln der übergroßen Fahrradglocke wieder das Lastenrad des JoJo-Kindertreff vorgefahren. Die Kinder kennen schon das typische Bimmeln und wissen, wer dann kommt, sagt JoJo-Mitarbeiter Nils, der ununterbrochen von Kindern umringt ist, die ihn beim Federball, beim Fußball, zum Fangen und Verstecken dabei haben wollen. 

Den Ort hinter den hohen Häuserwänden, geschützt im Hofinneren, hatten die Sozialpädagog*innen auch im vergangenen Jahr schon öfter angefahren. Immer mittwochs ist Kunstkoffer-Tag. Das Angebot heißt: “Die Kunstkoffer kommen” und besteht bereits seit vielen Jahren in der Kooperation von Kinderschutzbund und Ausländerrat Dresden in der Johannstadt, um Kinder in ihrer Freizeit mobil zu erreichen, immer mittwochs von 15:30 bis 18:00h im Gebiet der Nördlichen Johannstadt. Am heutigen Mittwoch habe das mobile Angebot noch den zusätzlichen Auftrag, mit der  Kampagne “Jugendarbeit sichern – Zukunft gestalten“ für politische Aufmerksamkeit zu sorgen, erklärte Katja vom Team des Kinderschutzbunds.

 

 

Das vollbepackte Lastenrad des mobilen Treffs ist eine Fundgrube an Spielsachen Foto: Anja Hilgert

 

Direkt in Kontakt und in Aktion

Der Koffer voller Wunderdinge macht seine Runde im Viertel. Er ist ein Element der mobilen Spielplatz-Arbeit des Jo-Jo-Kindertreff, und den kennen eigentlich alle, die hier wohnen und 6-14 Jahre alt sind. Hoolahoops, Pedalos, Straßenkreide, Bälle sind einfache, aber wirksame Mittel, direkt in Kontakt und in Aktion zu kommen. Zusätzlich bietet das Team der Sozialarbeiter*innen ein monatlich wechselndes Kreativ-Angebot. Z.B. auf einer großen Decke werden Materialien ausgebreitet, eine Idee dazu macht schnell die Runde und wirkt auf manche Kinder, die sich mit ihren Händen bastelnd, werkend und gestaltend beschäftigen wollen, wie ein Magnet. 

„Ich schaue immer aus dem Fenster und wenn ich Kinder im Hof unten sehe, dann gehe ich raus“, erzählt ein Mädchen. Sie hatte gerade ihre Pflanzschale aus einem Eierkarton bunt bemalt und wartete darauf, dass der Sack mit Erde aufgeschnitten würde, damit sie ihr Fensterbankbeet befüllen könnte.

 

Ausgebreitet für alle: Anregungen zum kreativen Gestalten in der Gruppe Foto: Anja Hilgert

 

 

Themen von Naturschutz über upcycling, jahreszeitliche Ideen und bestimmte Festzeiten werden auf niedrigschwellige Art und Weise zum Erleben gebracht. Die Kinder nehmen aus diesen Nachmittagen etwas mit nach Hause und tragen es in ihre Familien.

„Wir haben uns schon in der Schule verabredet für den Nachmittag“, sagt ein Mädchen, die zum jungen Stammpublikum des JoJo gehört. Alle kennen sich hier beim Vornamen. „Ich frag schnell zuhause, ob ich noch länger bleiben darf“, ruft ein Junge, der gern weiter mit Nils Fußball spielen will und verschwindet mit seinem Fahrrad um die Ecke. Die Eltern wissen, dass die Kinder gut aufgehoben sind – die umfassende Arbeit im weiteren Feld der Familien sei dem Ausländerrat wichtig, betonte Yvonne und ließ sich von den Kindern zu neuen Sprungfeldern im Hüpfkästchenspiel herausfordern.

 

 

Hüpfkästchen, das verbindet Foto: Anja Hilgert

 

 

Kinder leiden am Ausnahmezustand

Länger als zwei Jahre schon ist das Leben insbesondere der Kinder und Jugendlichen bestimmt vom Corona-Ausnahmezustand. Für viele war das eine schwierige und manchmal auch einsame Zeit. Folgt man einschlägigen Studien, dann leiden Kinder und Jugendliche besonders stark. Sie verpassen eine spannende und für ihre Entwicklung wichtige Phase ihres Lebens, fühlen sich überfordert und haben Angst vor der Zukunft. Wie sie die Herausforderungen des Aufwachsens bewältigen und ob sie in dieser wichtigen Lebensphase genug Unterstützung erhalten, darüber entscheidet oft ihre soziale Herkunft.

In dieser Zeit waren die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit für viele junge Menschen ein wichtiger Ort. Sie fanden dort, was andere Instanzen der Sozialisation ihnen nicht geben konnten: Begegnung, Ermutigung, Unterstützung und Freiraum.

 

 

Spieltreffs fördern die Bereitschaft Neues auszuprobieren Foto: Anja Hilgert
Mobil für Begegnung – Offene Treffs der Kinder- und Jugendarbeit in Johannstadt Foto: Anja Hilgert

 

Offene Treffs als Bildungs-Baustein

Die Teams der Kinder-  und Jugendsozialarbeit begleiten junge Menschen auf ihrem Weg in die Selbständigkeit, vermitteln Selbstwirksamkeitserfahrungen und demokratische Grundwerte. Auch unabhängig von der Corona-Pandemie wollen die Angebote der freien Jugendhilfe als ein unersetzlicher Baustein für den Fortbestand einer pluralistischen Gesellschaft gesehen werden.

Mit dem letzten Dresdner Doppelhaushalt wurde die Infrastruktur der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gesichert. Wenn die Finanzierung jedoch über Jahre stagniert, die Kosten aber fortlaufend steigen, bedeutet das letztlich, dass Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien reduziert werden müssen.
Um weiterhin einen Beitrag zur Entwicklung von jungen Menschen zu selbstbestimmten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten leisten zu können, benötigen die Träger und Angebote eine gute Ausstattung mit finanziellen Ressourcen und langfristiger Planungssicherheit. Deshalb beteiligten sich die offenen Einrichtungen des Kinderschutzbundes OV Dresden e.V.  an der Kampagne “Jugendarbeit sichern – Zukunft gestalten“.

 

 

Jugendarbeit sichern

Auch deshalb war der gestrige Mittwoch in der Frühlingssonne kein gewöhnlicher Tag:

Auslöser war der Internationale Tag der Sozialen Arbeit am 15. März: Mit der Kampagne „Zukunft gestalten“ lud das Aktionsbündnis „Jugendarbeit sichern“ zum Mittwoch 16.3. insbesondere Politiker*innen herzlich ein, einen Blick in die Offene Kinder- und Jugendarbeit zu werfen. Mit dem  Tag der Offenen Tür bzw. des Offenen Hofes wurde auch über die übliche Zielgruppe hinaus auf die Bedeutung der engagierten Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer ausreichenden Ausfinanzierung der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit  aufmerksam gemacht.

Als die Sonne ihren Bogen weiter um die Häuser geführt hatte, ging auf dem Spielplatz im Hinterhof Pfotenhauerstr. 16-28 ein schöner Tag zu Ende. Die meisten Kinder hatten es nicht weit bis nach zuhause. Wieviele Fenster sind das wohl, hinter denen ein Blick schon erwartet, dass sich unten im Hof wieder Leben regt…