Die Welt von Gestern – “Krieg ist immer Gefängnis”

eingestellt am 19.07.2020 von Mohammad Ghith Al Haj Hossin (Stadtteilredaktion), Headerbild: Titel von Stefan Zweigs Roman "Welt von gestern" in arabischer Sprache. Foto: Mohammed Ghith als Haj Hossin

Nachdem er den französischen Bildhauer August Rodin in seinem Atelier besucht hatte, schrieb Stefan Zweig: “Die erste Lehre war gegeben: dass die großen Männer immer die gütigsten sind. Die zweite war, dass sie fast immer in ihrem Leben die einfachsten sind.” Es scheint, dass Zweig die Lehre verinnerlicht hatte, denn er ist auch einer von diesen großen Männern geworden.

Als ich vor sechs Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen bin, hatte ich mir zwei Bücher mitgebracht. Eines von ihnen war die arabische Übersetzung von Stefan Zweigs Buch ‚Die Welt von Gestern‘. Hier in Deutschland habe ich zwei Exemplare des Buches auf dem Flohmarkt gekauft und auch andere Bücher. Ich liebe Stefan Zweig sehr, obwohl ich nur ‚Die Welt von Gestern‘ und ‚Drei Meister‘ von ihm gelesen habe. Aber vor allem das erste viele Male …

Krieg führt zum Krieg

Vor dem Krieg in Syrien 2011 habe ich ‘Die Welt von Gestern’ gelesen als literarisches Buch. Aber nach dem Krieg wurde das Bild geändert. Ich lese es nicht nur als literarisches Buch sondern auch als Wegweiser, um den Krieg zu verstehen und seine fürchterlichen Folgen auf Menschen zu vermeiden.

Textauszug aus "Die Welt von Gestern" in arabischer Sprache. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin
Textauszug aus “Die Welt von Gestern” in arabischer Sprache. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin

Ich habe mich oft gefragt: wie konnte man zwei Weltkriege in seinem Leben erleben? Der Freitod Zweigs und seiner Frau 1942 in Brasilien bewies, wie schwierig es diese Situation zu ertragen. Er schrieb in seinem Abschiedsbrief: “Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft.”

Wortemacher des Krieges

Als Syrer weiß ich gut, dass mit Anfang jedes Krieges viele normale Menschen glauben, aufgrund des Leidens unter der Ungerechtigkeit und auch durch Einfluss der Medien, dass er eine Erlösung sein würde. Im Krieg verteufelt jede Seite die andere, um Hass zu befeuern.

“Es war der Krieg einer ahnungslosen Generation, und gerade die unverbrauchte Gläubigkeit der Völker an die einseitige Gerechtigkeit ihrer Sache wurde die größte Gefahr.” Aber danach würden sie sicher sein, dass es nur die Schwelle zur Hölle ist, die man manchmal ahnungslos betritt.

"Die Welt von Gestern" - Eines der Lieblingsbücher unseres Autors. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin
“Die Welt von Gestern” – Eines der Lieblingsbücher unseres Autors. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin

“Nach dem furchtbaren Aderlass auf den Schlachtfeldern begann das Fieber zu weichen. Die Menschen sahen mit kälteren, härteren Augen dem Krieg ins Gesicht als in den ersten Monaten der Begeisterung.” Es ist nie zu spät zu erkennen wer der richtigen Gegner ist, den wir bekämpfen müssen: “Das falsche Heldentum, das lieber die anderen vorausschickt in Leiden und Tod.”

Aufgeben oder Zusammenbrechen?

Jahr für Jahr scheint es, dass Krieg kein Ende hat. Durch diesem  traurigen Gefühl sucht man sich, der auf keiner Seite im Krieg gestanden hat, nach einer Zuflucht. Und die einzige Lösung ist nach Ausland zu fliehen. “Ins Ausland, sagte er (Rainer Maria Rilke), wenn man nur ins Ausland könnte! Krieg ist immer Gefängnis.”

Textauszug aus "Die Welt von Gestern" in arabischer Sprache. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin
Textauszug aus “Die Welt von Gestern” in arabischer Sprache. Foto: Mohammed Ghith al Haj Hossin

Aber im Ausland fängt an eine neue Phase des Leidens an. In der fühlt man sich schwach, wehrlos wie eine Fliege, machtlos wie eine Schnecke. Sollte man unter diesen Umstände aufgeben oder zusammenbrechen? Zweig sagte nein, und bot uns seinen goldenen Rat in den dunkelsten Zeiten:  “Flüchte dich. Flüchte dich in dein innerstes Dickicht, in deine Arbeit, in das, wo du nur dein atmendes Ich bist, nicht Staatsbürger, nicht Objekt dieses infernalischen Spiels, wo einzig dein bisschenn Verstand noch vernünftig wirken kann in einer wahnsinnig gewordenen Welt.”

Jeder Schatten ist Kind des Lichts

Am Ende, in seinem tragischen Freitod, konnte Zweig nicht seine Versprechen erfüllen und seinen goldenen Rat befolgen. Aber er ließ die Tür geöffnet vor dem Leben,  an dem man sich halten muss. Hoffnung immer bleibt unserer einzigen Wahl in der versinkenden Welt. “Aber jeder Schatten ist im letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.”

Dankbar sein – Ein syrischer Journalist erzählt

eingestellt am 29.05.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Eine Zeichnung von der Tochter des Autors. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin.

Ghith Mohammad Al Haj Hossin ist Journalist aus Syrien. Er wohnt und arbeitet in der Johannstadt. Für das Stadtteilmagazin hat er sich mit dem Thema Dankbarkeit auseinandergesetzt. Wie fühlt es sich an, das Leben in einem neuen Land, nach Zerstörung, Krieg und Tod? Und wie geht das, dankbar sein?

Vor dem Jahr 2011

– Woher kommen Sie?

– Ich komme aus Syrien.

– Syrien? Wo liegt es?

– Im Nahen Osten … südlich von der Türkei

Nach dem Jahr 2011

– Woher kommen Sie?

– Ich komme aus Syrien.

– Wirklich? Aus welcher Stadt? Damaskus, Aleppo, Hama ich kenne viele Menschen aus Syrien.

Dieser Dialog ist vermutlich realistisch, weil vielen Syrer*innen diese Fragen gestellt werden. Aufgrund des Krieges ist Syrien berühmt in den Medien geworden. Viele syrische Städte sind sehr bekannt geworden, wie zum Beispiel: Idleb, Deir ez-Zor, ar-Raqqa und Dar’a.

Der Wille des Lebens

Die Frage, die sich stellt: Was ist der Preis für diese schreckliche Berühmtheit? Die Antwort auf diese Frage würde lauten: Zerstörung, Bombardierung, Massenflucht und der Tod. Aber es gibt auch die andere positive Seite, sie besteht im Willen des Lebens.

Geflüchtete Menschen haben ihre eigenen Antworten auf diese Frage in ihrem festen Glauben, dass sie ein neues Leben in ihrer neuen Heimat aufbauen müssen, um nicht vor Hoffnungslosigkeit aufzugeben. Sie wissen durch Instinkt, aus welchen Quellen sie die geforderte Kraft schöpfen können.

Eine Zeichnung von der Tochter des Autors. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin.
Eine Zeichnung von der Tochter des Autors. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin.

Kriegsgeneration

Es gibt mehr als fünf Millionen syrische Kinder, die in Syrien oder in anderen Ländern geboren wurden und aufwachsen, wie das UN-Kinderhilfswerk Unicef berichtete. Das ist die größte Herausforderung für das Land und die Gesellschaft, so wie Zerstörung, Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit. Weil Kinder das Kapital des Landes sind.

Wenn viele von ihnen Körperbehinderungen oder außerdem psychische Behinderungen haben, können wir die Größe des Verlusts nur raten. Auf diese Weise zeigt uns der Krieg sein schreckliches Gesicht. Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels, daran müssen wir immer glauben.

Und was wir für die Kriegsgeneration genannt haben, könnte auch eine Zukunftsgeneration sein, wenn wir solche Nachrichten lesen, wie zum Beispiel:

“Bei der Befragung von 365 Kindern in Syrien durch “Save the Children” hat sich gezeigt, dass bei allen Ängsten und Nöten die Kinder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft noch nicht verloren hätten. Die meisten von ihnen wollten später Ärzte oder Lehrer werden, um in Zukunft helfen zu können.”

Dankbar zu sein

Man kann nicht einfach vergessen, wer in den schwierigen Zeiten geholfen hat. Deswegen sind viele syrische Menschen dankbar für das Land, und für das Volk, das sie gerne willkommen geheißen hat, trotz der späteren Proteste, die man verstehen sollte als einen Teil der demokratischen Gesellschaft.

Sie wissen auch, dass sie in Deutschland, zum Beispiel, gleich sind vor dem Gesetz, wie die anderen Deutschen.

Wir sind für die Aufnahme von Flüchtlingen dankbar. Und wir möchten Deutschland etwas zurückgeben”, wie mir eine syrische Frau erzählt hat. Aber wie kann man es zurückgeben? Es ist einfach: “Die neue Sprache beherrschen, erfolgreich an der Uni studieren, neue Arbeit finden oder ein normales Leben zu haben, so gut es möglich ist.”