Erstaunlich schnell ist es Hendrik Müller und Gregor Brysch gelungen, Ruhe in die aufgekratzten elf Schüler*innen zu bekommen – und das nach Unterrichtsschluss, wenn schon der freie Nachmittag winkt. Doch die Theater-AG der 102. Grundschule “Johanna” ist bei der Sache. Nur noch wenige Proben, dann hat ihr modernes Märchen Premiere: Eine Stimmung aus Lampenfieber und Übermut liegt in der Luft.
Wo ist die Fee? Hat jemand einen Rabenschnabel? Wie siehst du aus, wenn du lange auf etwas gewartet hast? Das sind essentielle Fragen bei den Probenachmittagen der Theater-AG in der “102. Johanna“. Eine Stunde ist nicht lang, wenn in ihr Texte geprobt, Kostüme besprochen und Schauspiel unterrichtet werden soll. Durch den Türspalt des Theatersaales lugen schon die Köpfe der Nachfolger. “Wir haben noch fünf Minuten!”, ruft Gregor Brysch. Jede Minute zählt – und wird genutzt.
Teach First als Räuberleiter
Gregor Brysch ist studierter Theologe und im Rahmen des Bildungsprogrammes Teach First Deutschland an die Grundschule in der Johannstadt gekommen. Das Programm bildet Akademiker*innen als sogenannte Fellows aus, die mit ihren Fähigkeiten an ausgewählten Schulen das Lehrpersonal unterstützen.
Die Fellows helfen Schützlingen, in der Schule nicht abgehängt zu werden. Unterstützung kann von Nöten sein, wenn Kinder dem Lehrplan hinterher hinken, aber auch, wenn sie ihm voraus sind. Während Lehrer*innen den Unterrichtsstoff voranbringen, können die Fellows in enger Absprache mit der/dem Lehrer*in auf einzelne Schüler*innen eingehen. Sie geben so eine Räuberleiter – besonders in kritischen Phasen wie beim Übergang von Grundschule in Mittelschule oder Gymnasium. Teach First setzt sich auf diese Weise für Chancengleichheit im Bildungssystem ein.
Superkraft: Theater
Menschen, die sich als Fellow bewerben möchten, brauchen dazu einen Universitätsabschluss, nachgewiesenes soziales, politisches oder kulturelles Engagement und einen Berufsabschluss oder eine besondere Fähigkeit.
Gregors “Superkraft” ist Theater. In Hendrik Müller hat er für die Leitung der Theater-AG einen würdigen Partner gefunden: Hendrik hat wie er Theatererfahrung und ist neben seiner Tätigkeit als Schulsozialarbeiter als Schul-Clown an der “Johanna” tätig.
In Zusammenarbeit mit den Schüler*innen gingen im Herbst 2019 die Vorbereitungen los: Welches Genre soll das neue Stück haben? Wer spielt wen? Den kleinen Darsteller*innen wurden ihre Rollen mit kleinen Anpassungen auf den Leib geschrieben. “Wir hatten jetzt schon die ersten Einzelproben”, berichtet Gregor. Klare Sprache, das Einfühlen in die Rolle, Textbüffeln – viele der Nachwuchstalente aus der ersten und zweiten Klasse machen das nicht zum ersten Mal, sondern sind schon Theater-AG-erfahren.
Die Bühne macht fit für’s Leben
Heute arbeitet die Gruppe zweigeteilt: Während die eine im Bühnenraum Szenen probt, wühlt sich die andere durch den Theater-Fundus. Gebraucht werden Kronen, Besen, Gewänder. Das Märchen erzählt die Geschichte eines Prinzen, der verflucht wird. Kein Recke, Ritter oder Riese kann ihn befreien, sondern nur ein kleines Mädchen. Davon muss das ungläubige Königspaar erst einmal überzeugt werden.
Mit Gregors Hilfe ersteht vor den Augen der Kinder das Stück: An dieser Stelle wird ein Vorhang sein, hier warten die nächsten Darsteller*innen auf ihren Auftritt – ruhig erklärt er den Kindern die Abläufe und bringt ihnen mit Fragen das Schauspiel näher. “Wie siehst du aus, wenn du keine Geduld mehr hast?” Auf der Bühne sackt der König mit muffeliger Miene zusammen und schaut auf eine unsichtbare Uhr. “Prima!”
Das Königspaar sitzt noch auf den Thronen, da kommt schon die Fundus-Gruppe durch die Tür gepurzelt. Fliegender Wechsel! Nun steht Hendrik mit der zweiten Personal-Hälfte des Stückes auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Premiere im Februar
Zum Schluss kommt die ganze Gruppe zusammen. Gemeinsam wird im Sitzkreis gegrübelt, wie alle zu kostümieren sind. “Ich habe vielleicht Katzenohren zuhause!”, ruft ein Mädchen. Ein anderes Kind möchte eine Schürze beisteuern – wenn Mama ja sagt, natürlich. Dann flitzen alle aus dem Zimmer.
“Die Kinder lernen hier etwas Essentielles”, wissen Gregor und Hendrik aus Erfahrung. In eine fremde Haut schlüpfen, laut, klar, präsent sein, im wahrsten Sinne des Wortes im Rampenlicht stehen, bilden Empathie und Selbstbewusstsein aus.
In der ersten Februarwoche ist es so weit: Dann hat das moderne Märchen Premiere vor den älteren Schüler*innen und den Eltern. Ein zweites, längeres Stück ist geplant mit der Aussicht, dieses in einem “richtigen” Theater aufzuführen. Gern auch mehrmals.
Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.